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Specialized zaubert Globe aus der Mottenkiste

Bild eines zu erwartenden E-Lastenfahrrades der von Specialized reaktivierten Marke Globe

Ein Foto, auf dem vier an einem Fahrrad angehangene Körbe mit Kakteen vollgestopft sind. Das schreit nach der berühmten Frage: Was, bitte, möchte uns die Kunstschaffenden damit sagen? Ganz klar, Globe ist zurück. Nein, ist natürlich alles andere als klar – aber trotzdem so. Vielleicht kennen einige von euch Globe noch. Das war eine Produktreihe stadttauglicher Alltagsfahrräder, um die Specialized in den frühen 1990er Jahren sein Sortiment erweiterte. Die es 2009 sogar zur eigenständigen Marke innerhalb des Specialized-Universums schaffte. Nur, um einige Jahre später komplett in der Versenkung zu verschwinden. Genau diese Marke hat Specialized wieder aus der Mottenkiste hervorgekramt und will sie zu neuem Leben erwecken.

Nun, der Anfang ist auf alle Fälle etwas nebulös. Es gibt eine Landingpage namens globebikes.com. Dazu besagtes Foto mit den zur Spritztour bereiten Kakteen sowie eine nicht sonderlich konkrete Pressemitteilung. Aus der geht hervor, dass demnächst unter der Marke Globe auf dem US-amerikanischen Markt Fahrräder erscheinen werden, mit den sich kürzere Fahrten von bis zu fünf Kilometer ersetzen lassen, für die sich Menschen in den USA und vielen anderen Ländern der Welt aktuell eher ins Auto setzen. Das sei jedoch wirtschaftlich unrentabel und schlecht für die Umwelt. Gut, das haben vor Specialized schon andere erkannt.

1. Welche Motivation verbirgt sich hinter der Marke Globe?
2. Was lässt sich vom Bild auf das Fahrrad ableiten?
3. Ein Blick zurück in die Vergangenheit
4. Was hat es mit den Kakteen auf sich?

1. Welche Motivation verbirgt sich hinter der Marke Globe?

Der Hersteller möchte sich dieser urbanen Zielgruppe nähern, ohne sie mit seinem originären adrenalingetränkten, leistungssportaffinen Image zu vergraulen. Bei Globe soll der Spaß im Mittelpunkt stehen. Die Freude am Fahren in einer städtisch geprägten Umgebung, bei dem man keinen Rekorden hinterherjagt, sondern Alltägliches erledigt. Da trifft es sich gut, dass Globe günstiger sein möchte als die große Schwestermarke. Mit günstiger ist vermutlich billiger gemeint als zum Beispiel die hochpreisigen Angebote mit dem Namenszusatz S-Works. Außerdem soll sich die Anschaffung eines Globe-Fahrrades ein Leben lang auszahlen. Haltbarkeit dürfte demnach eine große Rolle spielen.

In Eisblöcken eingefrorene Autoschlüssel

Bereits zum weltweit begangenen „Earth Day“ am 22. April hatte Specialized dazu aufgerufen, seine Autoschlüssel doch einzufrieren und das Auto ein Jahr lang stehenzulassen. Daran anknüpfend sollen euch künftig Bikes der reaktivierten Marke Globe dazu bewegen, dass dauerhaft zu tun.

Fragezeichen hinter künftigem Vertriebskonzept

Als Partner beim Wachküssen der Marke soll der Fachhandel vor Ort agieren. Genauer gesagt, unabhängige Fahrradläden, die bisher außen vor bleiben, wenn Hersteller über das Internet direkt an Endverbraucher verkaufen. Der Teil der Ankündigung klingt ein wenig merkwürdig. Schließlich zählt Specialized selbst zu den Marken, die verstärkt danach streben, den Absatz künftig in größerem Maße als bisher direkt über eigene Webseiten zu leiten. Erst zu Beginn des Jahres ließ das Unternehmen verlauten, sie werde US-Kunden den Kauf direkt über die Website anbieten. In dieses Bild passt ebenfalls die vor wenigen Tagen bekanntgegebene Verpflichtung von Armin Landgraf als neuen Chef der weltweiten Märkte. Landgraf wechselt von Canyon Bicycle, wo er als CEO das Modell des Direktvertriebs verfolgt hat.

Ähnlich bleibt abzuwarten, was unter „unabhängig“ in Bezug auf die Fahrradläden zu verstehen ist. In der Pressemitteilung ist nur wenige Zeilen später die Rede vom Nutzen bestehender Strukturen des Specialized-Ökosystems. Gemeint sind damit wohl mit bestehende Vertriebsstrukturen. Unabhängigkeit von Specialized klingt irgendwie anders.

Alles unter Strom

Bei Globe wird sich voraussichtlich alles um E-Bikes drehen. Mehr als deutlich weist darauf das ausdrückliche Sprechen von „EV“, also electric vehicles. Ebenfalls explizit erwähnt wird entsprechendes Zubehör. Die Fahrräder sollen dem Anspruch eines familientauglichen Fahrzeugs genügen. Das heißt, sowohl Waren als auch Kinder zu befördern. Insofern zeigt sich eine logische Verbindung zum auf der Landingpage gezeigten Lastenfahrrad. Sehr gut möglich, dass es nicht das einzige Modell bleiben wird.

Das Online-Magazin „Global Bike Report“ zitiert Saul Leiken, Global Category Leader bei Globe, mit den Worten, dass man vorhabe, mit traditionellen Abgrenzungen zwischen Rennrad, Mountainbike und Pendlerrad zu brechen. Stattdessen wolle Globe Alltagsräder anbieten, mit denen man im Grunde alles tun könne.

Global Category Leader bei Globe Saul Leiken

Saul Leiken ist Global Category Leader bei Globe.

Was die Eindeutigkeit des gezeigten Teaserbildes anbelangt, hält sich Specialized dagegen bedeckt. Zu erwarten sei das leistungsstärkste Fahrrad, das man je auf den Markt gebracht habe, ob mit oder E-Antrieb. Dass es sich bei der massiven Hinterradnabe tatsächlich um einen Hinterradnabenmotor handle, wollte Leiken laut Global Bike Report „weder bestätigen noch dementieren“.

2. Was lässt sich vom Bild auf das Fahrrad ableiten?

Gut, dann werfen wir selbst mal einen genaueren Blick auf das Fahrrad hinter den Kakteen. Von den Dimensionen her tippen wir auf ein kompaktes Longtail, vergleichbar beispielsweise mit dem Quick Haul von Tern. Sein hinterer Gepäckträger scheint nicht komplett im Rahmen integriert zu sein. An mindestens vier Punkten ist er aber direkt mit einer horizontal verlaufenden massiven Hinterbaustrebe verbunden. Wirkt in jedem Falle äußerst belastbar. Gut möglich, dass er am Ende für eine Zuladung von 70 Kilogramm oder sogar mehr zugelassen ist. Reicht seine Länge aus, wäre genug Platz, um zwei kleinere Kinder in Kindersitzen oder auf einer Sitzbank mitzunehmen.

Am Steuerrohr fallen Aufnahmen für einen Frontgepäckträger ins Auge. Sollte der auch massiver ausfallen, könnt ihr mit 15 oder 20 Kilogramm rechnen, die sich zusätzlich transportieren lassen. Kaum übersehbar, verfügt selbst die Gabel über Aufnahmen für Vorderrad-Gepäckträger. Auf dem Bild hängen daran großen Körbe, die an Gepäcktaschen für Radreisen erinnern. Aus der Ferne geschätzt, nehmen die jeweils ein Volumen von mindestens 20 Litern auf. Anscheinend lassen sich vorn und hinten insgesamt vier anbringen. Sind diese voll und es fahren noch Personen auf dem hinteren Gepäckträger mit, dürfte das Fahren mit dem E-Bike sehr anspruchsvoll werden. Zusammengenommen deutet die Abbildung auf eine recht große Zuladung hin.

Ausblick oder Bluff?

Apropos groß. Zu denen Dingen, die definitiv hervorstechen, gehört mit Sicherheit die voluminöse Hinterradnabe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit steckt darin ein Motor. Da Globe sich zumindest vorerst auf den Markt in den USA beschränken möchte, könnt der über mehr Leistung verfügen als in Europa zugelassen. Vielleicht ist das jedoch auch nur ein kleines Verwirrspiel des Herstellers. Mit Brose hat Specialized ja einen Motorenpartner an der Hand, der auch für E-Cargobikes passende Systeme fertigt. Warum also nicht zu einem Brose Drive S oder Brose Drive T greifen? Mit der abgebildeten Kettenschaltung würden sich sowohl ein Hinterradnabenmotor als auch ein Mittelmotor vertragen.

Tief, breit, schwarz

Die Laufräder wirken verhältnismäßig klein und dürften eher 24 Zoll messen. Grundsätzlich eine absolut vertretbare Wahl, weil sich der Schwerpunkt des Fahrrades so nach unten verlagert. Das schafft gute Voraussetzungen für ein einfach zu beherrschendes Fahrverhalten sowohl im beladenen als auch im unbeladenen Zustand. Zudem ließe sich das Bike gut manövrieren und sein kleiner Wendekreis wäre im Stadtverkehr von Vorteil. Durch kleinere Räder verringert sich außerdem die Distanz zwischen Oberrohr und Boden, was das Auf- und Absteigen erleichtert.

Typisch amerikanisch erscheinen die breiten Reifen. Das geht stark in Richtung eines Fatbikes. Ausschlaggeben war vielleicht dennoch weniger die Optik, sondern mehr der damit einhergehende Fahrkomfort. Bei solchen breiten Pneus dürfte sich die Frage nach einer Federgabel erledigt haben. Die Schutzbleche fügen sich stimmig in das gesamte Erscheinungsbild ein.

Verstecktes Feature?

Beim Steuerrohr können wir uns nicht des Eindrucks erwehren, dass es relativ weit unten im Rahmen beginnt. Zusätzlich steht es in einem ziemlich aufrechten Winkel. Das kennt man normalerweise von einem Klapprad. Eventuell lässt sich das Steuerrohr sogar abklappen. Irgendwo verbirgt es auf alle Fälle eine weitere Aufnahme für Zubehör. Wo sonst wäre der Flaschenhalter mit den beiden gut gelaunten Trinkflaschen angebracht?

Die übrigen erkennbaren Komponenten sind Scheibenbremsen mit ausreichend großen Bremsscheiben, ein sehr stabil wirkender Zweibeinständer sowie ein an dem Vorderradgepäckträger angebrachter Frontscheinwerfer. Dort platziert, folgt er eurer Lenkbewegung, was meist angenehmer ist, als wenn er starr am Steuerrohr befestigt ist.

Interessenten brauchen Geduld

Mit wirklich verlässlichen Angaben zu dem Bike oder den Bikes von Globe könnt ihr erst im Laufe des Jahres rechnen. Die ersten Vorbestellungen sollen im vierten Quartal möglich sein. Bis zu den tatsächlichen Auslieferungen wird es hinein bis in den Anfang des Jahres 2023 dauern. Auch wenn in der Pressemitteilung die Exklusivität für die USA betont wird, kann man zwischen den Zeilen lesen, dass eine spätere Erweiterung der Aktivitäten auf andere Teile der Welt sehr wohl folgen kann. Europa ist global gesehen nun einmal der absatzstärkste Markt für E-Bikes.

Im Internet fällt das Echo auf die Wiederkehr der Marke eher zurückhaltend aus. In Kommentaren schreiben User, dass Händler in den USA schon länger von Specialized Fahrräder gefordert hätten, die preislich mit Konkurrenten wie Rad Power Bikes und deren Modell des Direktvertriebs konkurrieren können. Allerdings bleibt ungewiss, wie genau Specialized mit Globe den Fachhandel beteiligen möchte.

3. Ein Blick zurück in die Vergangenheit

Typisch für Globe-Fahrräder war von Beginn an ihre Ausrichtung auf Alltag, Freizeit und Radreisen. Von der Sitzposition her aufrechter als das restliche Sortiment von Specialized, verfügten sie über eine Vielzahl unterschiedlicher Antriebe, Geometrien und Optionen für Gepäckträger und Taschen. Seit den frühen 1990er Jahren galten Kurzstrecken-Pendler und Bewohner größerer Städte als Zielgruppe. Als Specialized die Produktlinie 2009 in eine eigene Marke umwandelte, geschah dies unter ähnlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie heute. Die Wirtschaft in den USA schwächelte, Benzinpreise stiegen und das Fahrradfahren erlebte, beinahe gezwungenermaßen, einen Aufschwung.

4. Was hat es mit den Kakteen auf sich?

Warum Globe sein E-Bike mit Kakteen kaschiert, geht aus der Pressemitteilung nicht hervor. Möglicherweise spielt Specialized auf den Cactus Cup an. Dieses mehrtägige Mountainbike-Etappenrennen in Arizona fand erstmals 1991 statt. Die Hatz auf den Trails am Pinnacle Peak eröffnete lange Jahre die Saison. Alles stand auf null, es galt sich neu zu beweisen. Von 1992 bis 1998 war Spezialized der Namenssponsor des Rennens. Das Geschehen fällt also in die Zeit, in der auch die ersten Globe-Fahrräder auf den Markt kamen. Der jetzige Neustart ist dem Start in eine neue Saison nicht unähnlich. Wer weiß. Vielleicht sind Kakteen auch einfach nur die neuen Katzenbabys und sollen uns empfänglich für Marketingbotschaften machen.

 

Bilder: Specialized Bicycle Components, Inc.

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