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Gocycle Family Cargo: Schöne Worte. Tolle Bilder. Wenig Essenz.

Detail als Vorschau auf das E-Lastenfahrrad Gocycle Family Cargo

„Das beste Marketing fühlt sich nicht so an wie Marketing.“ Das sagt Tom Fishburne, Experte für Marketing und in Fachkreisen international bekannter Karikaturist und Buchautor. Nimmt man dieses Zitat als Maßstab, kommt die jüngste Nachricht des britischen E-Bike-Herstellers Gocycle nicht gut weg. Der kündigt mit großen Worten sein allererstes E-Lastenfahrrad an. Grundlegende Informationen zum Fahrrad spart er darin jedoch aus. Nicht einmal ein Bild des Fahrrades oder einen Designentwurf gibt es.

Bereits mit seinem ersten E-Bike, dem Gocycle G1, hat Gocycle den Grundstein für sein Image als Marke gelegt, die den Mainstream links liegen lässt und lieber eigene Wege beschreitet. Seinem seit 2009 gefertigten Faltrad hat Gründer Richard Thorpe ein ikonisches Design verpasst, das mit viel Gespür für Details schlüssig weiterentwickelt wurde. Gleichzeitig bestach ein Gocycle durch technische Innovationen, die anderen Herstellern als Benchmark galten.

Richard Thorpe Gründer von Gocycle

Richard Thorpe, Gründer von Gocycle, arbeitete zuvor als Designer beim Formel-1-Rennstall McLaren.

Fehlende Spur zur DNA

Vor diesem Hintergrund sorgt die Ankündigung für das Gocycle Family Cargo sehr wohl für reichlich Spannung. Womit wird der Hersteller uns wohl diesmal überraschen? Derart aufgeregt fliegt man über die Zeilen der Pressemitteilung, stöbert in den mitgesandten Bildern – und stellt nach fünf Minuten fest, dass man genauso schlau ist wie zuvor.

Abgesehen von ein paar Schlagworten und Allgemeinplätzen wird kaum Essenzielles genannt. Stattdessen wirft Gocycle ein fetziges Kunstwort wie OneDesignDNA®-Philosophie in den Raum und betont dessen zentrale Bedeutung für den Ansatz des neuen Gocycle Family Cargo. Auf der Webseite des Herstellers wird der Begriff allerdings mit keiner Silbe erwähnt. Was durchaus überrascht bei einer Philosophie, in der sich die DNA aller Modelle von Gocycle widerspiegeln soll.

Revolutionäres E-Bike für (fast) alle

Was erfahren wir noch? Das künftige Lastenrad soll ein geringes Gesamtgewicht mitbringen und den E-Antrieb vollständig integrieren. Vermutlich stehen Qualitäten wie ein möglichst geringer Wartungsaufwand und Verschleiß ebenfalls weit oben auf der Agenda. Mal sehen, was zum Beispiel aus Lösungen wie dem Cleandrive wird, dem komplett umschlossenen Kettenantrieb. Laut der Mitteilung soll der Fahrspaß auch mit dem Family Cargo nicht zu kurz kommen. Zudem kündigt Gocycle an, „einige revolutionäre neue Technologien“ an dem E-Bike einsetzen zu wollen. Am Ende soll ein Fahrrad entstehen, das für „Eltern, Großeltern, Kinder, Tierliebhaber und Transporteure auf der ganzen Welt“ gedacht ist.

Wie viel Bekanntes wird im neuen Family Cargo stecken?

Was das alles konkret für das technische Konzept der Neuentwicklung bedeutet, bleibt offen. Zumal bei einem Lastenfahrrad sich viele Details am Gocycle ändern könnten:

  • Der Vorderradnabenmotor – An einem urbanen E-Bike wie dem aktuellen Gocycle G4 mit einem maximal zulässigen Gesamtgewicht von 100 Kilogramm völlig ausreichend. Unter den Lastenfahrrädern eher die Ausnahme. Beispiele wie das Convercyle „Electric“ zeigen, dass sich beides allerdings nicht ausschließen muss. Würde aber wohl bedeuten, dass ihr kein Longjohn erwarten könnt, dessen Ladefläche zwischen Vorderrad und Steuerrohr platziert ist.
  • Einseitige Gabel und Hinterbaustrebe – Mehr Zuladung sorgt für höhere Kräfte, die auf einen Fahrradrahmen am Lastenrad einwirken. Daher greift die Mehrzahl der Hersteller zu konservativen Konstruktionen mit Gabeln mit zwei Gabelbeinen sowie zwei Ketten- und Seitenstreben. Gocycle arbeitet jedoch schon beim Rahmen des G4 mit Aluminium, kohlefaserverstärkten Kunststoffen und Magnesium. Zumal Coh&Co mit dem Velosled Anna ebenfalls gewagtere Designs erfolgreich umsetzt.
  • Faltmechanismus – Bislang galt: Ein Gocycle ist stets ein faltbares Fahrrad. An einer Stelle der Pressemitteilung ist aber auch die Rede vom Erschließen neuer Märkte unter anderem mit nichtfaltbaren Fahrrädern. Das Family Cargo könnte hierfür den Auftakt machen.
  • Shimano Nexus 3-Gang-Nabe – Weitere Konstante der vergangenen Jahre war die im Hinterrad integrierte Nabenschaltung von Shimano mit drei Gängen. Für das Bewegen größerer Lasten dürfte das trotz der verschiedenen Unterstützungsstufen zu wenig sein. Zumal die einzige Nabenschaltung von Shimano mit einer echten Freigabe für Lastenräder die Nexus Inter-5E ist. Natürlich wäre aber auch eine Nabe wie die relativ neue 3×3 denkbar.
  • Gesamtlänge von 1,60 Meter – Aufgrund seiner kompakten Maße bietet das Gocycle G4 nicht genügend Platz, um so viel mehr an Gepäck aufzunehmen, dass aus ihm ein vollwertiges Lastenfahrrad wird. Gleichzeitig misst ein E-Bike wir das Tern NBD nur drei Zentimeter mehr an Länge und verträgt immerhin 140 Kilogramm als maximales Systemgewicht.
  • Gocycle Lockshock – Auf einem Elastomer basierend, entschärft das Element am Hinterbau ein paar Unebenheiten des Untergrunds. Setzten sich Fahrende mit einem Gewicht von jenseits der 80 Kilogramm auf das Fahrrad, gibt es von sich aus bereits deutlich nach. Mit dem zusätzlichen Gewicht eines Lastenfahrrades wäre es wohl komplett überfordert. Sollte der Rahmen des Gocycle Family Cargo eine Federung erhalten, dürfte die technisch anders gelöst werden.

Nichts für kleines Geld

Ein wenig Orientierung mit Blick auf das neue Modell liefert das vorliegende Bildmaterial. Weniger aufgrund der Motive. Von denen lässt sich mitunter nicht einmal sagen, welches Teil am Fahrrad darauf abgebildet sein soll. Dennoch sprechen die Bilder erkennbar eine einheitliche Sprache. Perfekt inszeniertes Licht. Wohl abgestimmte Farben. In einem Bild erscheint genähtes Leder. Insgesamt wirkt das enorm hochwertig und ausgesprochen farbenfroh. Ästhetischere Detailaufnahmen des Schraubenkopfes einer Innensechskantschraube haben wohl viele von uns noch nie gesehen. 😉

Weiterführende Details möchte Gocycle Anfang 2024 veröffentlichen. Da auch der Verkauf des Family Cargo in dem Jahr noch starten soll, dürfte es sich dann sicher um aussagekräftigere Informationen handeln. Wir bleiben für euch auf alle Fälle dran. Behaltet bis dahin gern einen Spruch des Briten John Hegarty im Hinterkopf. „Wir kaufen nicht, was wir haben wollen, wir konsumieren, was wir sein möchten.“

 

Bilder: Karbon Kinetics Ltd.

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