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„Bislang wurde vieles entsorgt, was wir hätten nutzen können.“

Brose betreibt ein Programm zum Remanufacturing eigener E-Bike-Motoren

Die Entwicklung weg von den Mustern einer Wegwerfgesellschaft hin zu einem Miteinander, in dem Gebrauchtes sehr wohl seinen Wert hat, durchdringt längst viele Bereiche unseres Lebens. E-Bikes galten bislang allerdings nicht unbedingt als Paradebeispiel dieses Trends. Doch allmählich wandelt sich die Branche. So rief etwa Brose als erster deutscher Antriebshersteller 2021 ein serienmäßiges Wiederaufbereitungsverfahren für alte Antriebsysteme ins Leben. Geleitet wird das Projekt am Stammsitz in Berlin von Vincent Bahar. Im exklusiven Gespräch mit Elektrfahrrad24 schildert er, wie dieser effizientere Umgang mit Ressourcen aussieht, an welche Grenzen er derzeit noch stößt und was es für eine breitere Akzeptanz wiederaufbereiteter E-Bike-Komponenten noch braucht.

Herr Bahar, bitte beschreiben Sie mal in eigenen Worten, wobei es beim Remanufacturing-Programm von Brose handelt.

Wenn wir von Remanufacturing generell sprechen, also nicht nur von Motoren, sondern generell von einem Produkt, das wiederaufbereitet ist, sprechen wir von Bauteilen, die wir aus alten Produkten gerettet, also zurückgewonnen haben. Das heißt, es gibt einen bestimmten Auswahlprozess. Wir müssen die Bauteile reinigen und prüfen, ob sie sich noch für den Einsatz in einem neuen Motor eignen. Entspricht die Qualität unseren Vorgaben, werden die Bauteile mit den restlichen neuen Komponenten an der Linie verheiratet. Es entsteht ein Remanufacturing-Produkt. Dessen Qualität liegt auf dem gleichen Niveau wie die eines neuen Serienprodukts. Dementsprechend gilt auch die gewohnte Gewährleistung von zwei Jahren.

Bleiben wir bei den Motoren. Woher stammen diese?

Zu 99 Prozent handelt es um reklamierte Antriebe, bei denen die Gewährleistung greift. Diese bekommen wir von unseren Servicepartnern und Fachhändlern. Das letzte Prozent sind defekte Testantriebe, die zur Qualitätssicherung genutzt wurden. Bisher hätten wir einen solchen Antrieb sortenrein verschrottet. Dabei stecken darin viele Bauteile, die noch funktionieren und erneut verwendet werden können.

Und die wollen Sie künftig demnach weiter nutzen?

Genau. Die Bauteile, die infrage kommen, sind erstklassige Produkte. Sie haben sich im Feld bewährt und schon einmal ihre Aufgabe optimal erfüllt.

Über welche Motoren sprechen wir hier eigentlich? Brose führt ja mehrere im Programm.

Wir sprechen von beiden Modellreihen, sowohl von den Motoren mit Alugehäuse als auch von denen mit Magnesiumgehäuse. Ausgenommen sind lediglich unsere TF-Antriebe für S-Pedelecs.

E-Bike-Motor von Brose mit Magnesiumgehäuse

Neben den Motoren mit Magnesiumgehäuse kann Brose inzwischen auch die mit Aluminiumgehäuse wiederverwenden.

Welche Teile genau lassen sich wiederverwenden?

Das sind diverse Bauteile. Ein großer Teil davon zählt zur Elektronik, die inzwischen ja das Herz eines modernen Motors bildet. Mechanische Bauteile eher weniger. Hier verhindert meist der Verschleiß eine Wiederverwendung.

E-Bike-Motor von Brose in der Explosionsdarstellung

Derzeit können 30 Prozent der Teile eines Motors über das Remanufacturing vor dem Recycling bewahrt werden.

Welche Prozesse durchläuft solch ein wiederaufbereitetes Teil?

Zuerst wird der reklamierte Antrieb ausführlich untersucht. Schließlich muss geprüft werden, ob er sich überhaupt für das Remanufacturing eignet. Dann zerlegen wir den Motor Schritt für Schritt in seine Einzelteile. Für ein korrektes Recycling muss dies sowieso geschehen. Als Nächstes folgt die Reinigung. Die Methode hängt vom Bauteil ab. Schließlich kann ich ein elektronisches Bauteil nicht mit Wasser reinigen. Darauf folgt die Prüfung. Insgesamt wird jedes Bauteil dreimal begutachtet. Im reklamierten Antrieb bei der ersten Prüfung, als Einzelteil mit verschiedenen Prüfmitteln und schließlich auf dem End-of-Line-Tester am Ende der letzten Fertigungsstation. Für die elektronischen Bauteile gehört dazu das Löschen aller vorherigen Daten und das Zurücksetzen der Software. Am Ende werden die Teile sorgfältig eingelagert. Getrennt von der Neuproduktion, damit nichts versehentlich vermischt wird.

In dem wiederaufbereiteten Motor treffen neue und wiederaufbereitete Teile trotzdem dann aufeinander, richtig?

Ja, ungefähr 30 Prozent des Gesamtgewichts des Antriebs können wir aktuell aus gebrauchten Bauteilen fertigen.

Insgesamt klingt das nach einem recht aufwendigen Prozess. Wäre es nicht günstiger, alles neu zu fertigen?

Da steckt definitiv eine Menge Arbeit drin. Gleichzeitig passiert alles bei uns komplett inhouse. Kosten für Lieferanten, Logistik, Beschaffung, zusätzliche Entwicklung – das entfällt alles. Im besten Falle, wenn wir alle Bauteile wiederverwenden können, die dafür theoretisch in Frage kommen, senkt das zudem die Menge an CO2-Emissionen für einen Motor um rund die Hälfte.

Zu einem E-Bike-System gehören mit Akkus, Displays, Kabeln und Sensoren noch viel mehr Komponenten. Lassen sich diese ebenso wiederaufbereiten?

Akkus sind natürlich ein Riesenthema. Das zeigt auch das von der EU angestrebte „Recht auf Reparatur“ von Smartphones und anderen Geräten mit Batterien. Das Zerlegen und Rückgewinnen von Batterie-Bauteilen erfordert jedoch ganz spezielle und vor allem recht teure Sicherheitsmaßnahmen. Neben der Nachhaltigkeit spielt der wirtschaftliche Aspekt keine ganz unwichtige Rolle. Wenn wir das Remanufacturing-Programm ausweiten, dann nur, wenn die beiden im Gleichgewicht sind. Zudem handelt es sich beim Remanufacturing eines Akkus technisch betrachtet eigentlich um eine Reparatur. Unser Label darauf anzuwenden, wäre also irreführend.

Wie gut lassen sich denn aktuell dieser ökologischer Wille und die dafür nötigen Kosten miteinander in Einklang bringen?

Ehrlich gesagt, gar nicht so leicht. Ein Grund dafür liegt in dem Trend zu immer kleineren und leichteren Motoren für E-Bikes. Um das zu erreichen, kleben und pressen wir Bauteile, statt sie zu verschrauben. Sie lassen sich also schwieriger zerlegen als bisher.

Vincent Bahar leitet bei Brose das Remanufacturing-Programm zum Wiederaufbereiten eigener E-Bike-Motoren

Vincent Bahar leitet bei Brose das Remanufacturing-Programm zum Wiederaufbereiten eigener E-Bike-Motoren.

Gibt es aus Ihrer Sicht Technologien, die es Brose erlauben, in absehbarer Zeit dieses Dilemma etwas besser aufzulösen?

Es kommt weniger auf neue Technologien an. Gefragt ist vielmehr das Vorausdenken. Wer bei der Entwicklung von Anfang an berücksichtigt, dass dieses Produkt später einmal wiederaufbereitet werden soll, kann die richtigen Entscheidungen treffen.

Welcher Motivation entspringt eigentlich dieses Programm zur Wiederaufbereitung?

Zum einen ganz klar der Erkenntnis, dass bislang vieles entsorgt wurde, was wir locker erneut hätten nutzen können. Zum anderen wollten wir gern unseren Endkundinnen und Endkunden Ersatzteile zu günstigeren Preisen anbieten. Etwa in dem Falle, dass jemand einen Antrieb außerhalb der Gewährleistung mit demselben Aggregat ersetzen möchte, aber dabei gern etwas Geld sparen würde. So können wir ein günstiges und nachhaltiges Angebot machen.

Wie waren die Reaktionen bei Brose, als Sie das erste Mal mit dem Gedanken kamen, Motoren wiederaufbereiten zu wollen?

Oh, das Überzeugen der Kolleginnen und Kollegen hat nicht viel Kraft erfordert. Brose will bis 2039 ein CO2-neutrales Unternehmen werden. Das Remanufacturing passt perfekt in diese Strategie und sorgt dafür, dass die Produktion unserer Produkte so nachhaltig ist, wie die Nutzung von E-Bikes selbst. Die viel größere Herausforderung lag in der eigentlichen Implementierung.

Warum?

Nun, die Qualität muss unbedingt gesichert werden. Wir haben uns rund zwei Jahre Zeit genommen, um Dinge wie Prüfstände für die Qualitätssicherung, Dauerlaufprüfungen, verschiedene Fahrtests und Ähnliches zu entwickeln. Da läuft auch nicht immer alles glatt. Umso motivierender ist es zu sehen, wie weit wir inzwischen gekommen sind.

Welche Rolle könnte Remanufacturing grundsätzlich in der Fahrradbranche künftig spielen?

Hoffentlich eine große. In der Automobilindustrie wurde damit bereits in den 1970er Jahren begonnen. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Remanufacturing durch eine Standardisierung einheitlicher wird. Wo Remanufacturing draufsteht, soll ein genau definierter Prozess dahinterstehen, der eine festgelegte Qualität garantiert. Nur so bekommen wir den negativen Unterton heraus, der manchmal heutzutage noch mitschwingt, wenn man über gebrauchte Dinge redet.

Wie könnte das gelingen?

Ein Ansatz könnten Normen sein. An der Stelle kommt das Deutsche Institut für Normung in Spiel. Das DIN hat bereits eine Spezifikation für solche Prozesse erarbeitet. Im vergangenen Jahr waren Vertreter des Instituts bei uns zu Besuch, um sich anzuschauen, wie wir die Sache angehen. Und erfreulicherweise deckt sich vieles von dem, was das DIN vorschlägt mit dem, was wir tun.

Warum ist diese Verbindlichkeit in Form einer Norm aus Ihrer Sicht so wichtig?

Weil am Ende Vertrauen über den Erfolg oder Misserfolg solcher Programme entscheidet. Die Menschen werden Remanufacturing nur annehmen, wenn sie sichergehen können, dass sie ein hochwertiges Produkt erhalten. Eines, das gesäubert, geprüft und gewissenhaft montiert wurde. Das kann die Auszeichnung durch ein Siegel später nach außen hin kundtun.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bahar.

 

Bilder: Brose Antriebstechnik GmbH und Co

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