Heute ist Winterpendlertag. „Winter Bike to Work Day“ für alle Sprachbegabten unter uns ? Die passende Gelegenheit, um mal auf etwas zu schauen, das an sich eine Selbstverständlichkeit sein sollte – das Fahrradfahren im Winter. Mit selbstverständlich meinen wir das „Können“ und kein „Sollen“. Das heißt: Winterdienst auf Fahrradwegen, überhaupt genügend und gut gepflegte Fahrradwege, gegenseitiges Rücksichtnehmen und solche Dinge.
Kaltstart ins Neue Jahr
Wie es darum aktuell bestellt ist, weiß Sebastian Albert. In der Freizeit schreibt der 43-Jährige auf seinem Blog Ritzelzeit über – genau – Fahrräder. Hauptberuflich schraubt an ihnen herum, in einem Fahrradladen nahe Nordhausen. Dorthin fährt Sebastian gewöhnlich mit dem Auto. Nicht so jedoch im Januar 2021. Für den Einstieg in dieses Jahr hatte er sich einer ganz besonderen Herausforderung gestellt: Einen Monat lang auf den Komfort von vier Rädern und einer Klimaanalage verzichten.
Konkret bedeutete das:
- wellige und fast immer windige 15 Kilometer morgens und abends
- auf Feldwegen, Radwegen, Straßen durch dünnbesiedeltes südliches Harzvorland
- Wahl zwischen drei robusten, aber eher betagten Rädern ganz unterschiedlichen Typs
- Luxus einer Variante mit E-Antrieb in Form eines restaurierten Electra Cruiser 1 mit 3-Gang-Nabenschaltung und einem Nachrüstkit von Pendix
- Rucksack, Mindestinhalt eine Thermoskanne heißer Tee und ein Schweinehund
- stilistische Grenzerfahrung durch Griff zum Ganzkörperanzug von Dirtlej
Ach ja, und natürlich fünf eiserne Regeln:
- Ohne Auto heißt ohne Auto!
- Vom 1. Januar bis zum 31. Januar!
- Per Rad geht es täglich insgesamt 30 Kilometer zur Arbeit, bei Wind und Wetter, Schnee, Eis, Regen oder Sonnenschein!
- Es wird per Bike eingekauft sowie alle Wege damit erledigt!
- Ausgenommen sind die dienstlichen Fahrten mit dem Transporter am Mittwoch. Da komme ich leider nicht drumherum!
Wie lange sich ein Monat ziehen kann, ab wann einen der Wetterbericht nicht mehr interessiert und was um alles in der Welt die Krimderöder Eisroad ist, könnt ihr wunderbar ungeschminkt auf Ritzelzeit nachlesen. Hier gibt’s die bildliche und textliche Einstimmung auf das Pendlerabenteuer, das euch dort erwartet.
- Wenn man so ein Projekt auf dem Land durchzieht, sollte man sich auf keinen Winterdienst verlassen.
- 32 Kilometer Schneeregen, Matsch und Salz. Daran werde ich mich wohl nun gewöhnen müssen!
- Normalerweise kann man echt jeden Tag dieselben Klamotten anziehen. Spätestens nach zehn Minuten ist sowieso alles vom Schlamm bedeckt.
- Das Wetter kann so bleiben. Laut Wetterbericht wird es damit aber leider nichts.
- Der Weg, den ich täglich anpasse, wird immer geiler! Ich komme in Ecken, die kannte ich noch gar nicht. HAMMER.
- Wochenende = das Salz der letzten Schmuddelwoche abgewaschen und den Rahmen eingeölt, um die nächste Woche gut und sicher zu überstehen.
- Die neue Sattelstütze knickte einfach ab. Ich schaffte es dennoch bis nach Hause, auch wenn ich befürchte, dass sich durch die furchtbare Sitzposition sich meine Arme um 10 cm verlängert haben.
- Kennt Ihr das? Man pflegt sein Fahrrad, es wird geölt, gefettet und konserviert. Und nur 24 Stunden später platt!
- Der Pendix leistet auch nach Kilometer 300 solide, zuverlässige Arbeit. Ich glaube, mit dem Antrieb aus Zwickau kann man durch die Ostsee schwimmen, denn auch heute regnete es wieder Bindfäden.
- Es hat 21 Tage gebraucht, bis der Start in den Morgen so war, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Traum und Wirklichkeit lagen ganze 21 Tage …. Dreck fressend … auseinander.
- Ich lecke jetzt erstmal die Salzlauge der Straße von meinen Lippen und wünsche euch einen schönen Tag sowie einen gepflegten heißen Kaffee.
- Blitzeis. Das ist sowas von lächerlich. Zur Not fahre ich auch mit der Schaufel und einem Anhänger voll Kies los.
Neuschnee bis die Schwarte kracht. Mal kurz nachgedacht. Sch…., ich habe noch immer die Slicks drauf!
Hintergrund zum Winterpendlertag
Oulu, Finnland. Mit rund 200.000 Einwohnern die nördlichste Großstadt der Europäischen Union. Höchste Durchschnittstemperatur im Februar: -6,8 °C. Genau dorthin laden 2013 die Finnen Pekka Tahkola und Timo Perälä zur ersten internationalen Winter Cycling Conference (WCC) ein. Tatsächlich folgen über 600 Menschen dem Ruf. Ein Teil von ihnen nimmt am 8. Februar 2013 an einer spontanen Fahrt durch die Stadt teil. Von da an gilt der zweite Freitag im Februar als Winter Bike to Work Day, auf Deutsch Winterpendlertag.
Tahkola und Perälä geben sich damit übrigens nicht zufrieden. Die Fahrradaktivisten gründen die Winter Cycling Federation (WCF) und kämpfen im größeren Stil dafür, dass weltweit FahrradfahrerInnen ihre Spezialausrüstung zu Hause lassen können, wenn sie sich zwischen Dezember und März auf Bike schwingen wollen. In diesem Jahr ist die WCC erstmals auf zwei Tage erweitert worden und findet komplett digital statt.
Bilder: Sebastian Albert