Durch ein Interview im Nachrichtmagazin „Spiegel“ hat das Forschungsprojekt „Pedelec und Gesundheit“ in der vergangenen Woche deutschlandweite Aufmerksamkeit erlangt. Dabei liegen die Ergebnisse der Studie bereits seit mehreren Monaten vor. Veröffentlicht wurden sie erstmals im Oktober 2022 in der Fachzeitschrift „BMJ Open Sport & Exercise Medicine“. Hier erfahrt ihr aller Kürze alles Wissenswerte zu dieser Studie.
1. Wie lautete die Forschungsfrage?
2. Welches Ziel verfolgt das Team an der MHH?
3. Welche Menschen nahmen an der Untersuchung teil?
4. Wie wurden die Fahrdaten ermittelt?
5. Welche Erkenntnisse stechen aus dem Spiegel-Interview hervor?
6. Welche Daten zur Fahrradnutzung liegen zusätzlich vor?
7. Was bewegt die Menschen zum Fahrradkauf?
8. Wie gefährlich ist das Fahren mit einem E-Bike?
9. Welches Verkehrsmittel ersetzt das E-Bike?
10. Fazit
1. Wie lautete die Forschungsfrage?
Dass moderate sportliche Aktivität präventiv unser aller Gesundheit fördern kann, ist seit langem wissenschaftlich belegt. Ob das Fahren mit einem E-Bike, dessen Motor die Fahrenden bis zu einer Geschwindigkeit von maximal 25 km/h unterstützt, zu dieser Kategorie zählen und welchen konkreten medizinischen Einfluss es auf unseren Körper haben kann, gilt in der Fachwelt als offen. Daher forscht seit 2017 ein Team unter Leitung von Professor Uwe Tegtbur am Institut für Sportmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zu der Frage, wie körperlich anstrengend das Fahren mit einem Pedelec im Vergleich zu einem herkömmlichen Fahrrad sein mag und in welchem Ausmaß unsere Gesundheit davon profitieren kann.
Prof. Dr. med. Uwe Tegtbur vom Sportmedizinischen Institut der Medizinischen Hochschule Hannover © MHH
2. Welches Ziel verfolgte das Team an der MHH?
Im konkreten Projekt, auf dem das Interview im Spiegel basiert, versuchten die Forschenden das körperliche Aktivitätsniveau zu bewerten, mit dem Menschen unter realen Bedingungen ein Pedelec oder eben ein herkömmliches Fahrrad fahren.
3. Welche Menschen nahmen an der Untersuchung teil?
Um dies herauszubekommen, untersuchte das Team um Professor Uwe Tegtbur die Fahrdaten von 1.879 Menschen aus ganz Deutschland. Diese nahmen zwischen dem Februar 2017 und dem Dezember 2019 an der Studie teil. Genau 1.250 fuhren ein E-Bike. Als Kontrollgruppe dienten 629 Menschen mit einem herkömmlichen Fahrrad.
Die Gruppe der E-Bike-Fahrenden war älter als die der anderen Teilnehmenden. Sie kennzeichnete einen höheren Body-Mass-Index und litt unter mehr körperlichen Beschwerden wie Gelenkverschleiß, Diabetes, Bluthochdruck oder Fettleibigkeit. In Bezug auf die Geschlechterverteilung, die gesamte körperliche Aktivität und das Nettoeinkommen gab es zwischen beiden Gruppen keine statistisch relevanten Unterschiede.
- Alter der Probanden der Studie „Pedelec und Gesundheit“
- Body-Mass-Index der Probanden der Studie „Pedelec und Gesundheit“
- Monatliches Netto-Einkommen der Probanden der Studie „Pedelec und Gesundheit“
4. Wie wurden die Fahrdaten ermittelt?
Über einen Zeitraum von jeweils vier Wochen hinweg dokumentierten die Teilnehmenden, wie sie ihr Fahrrad nutzen. Zur Aufzeichnung der Fahrdaten erhielten sie einen Aktivitätstracker. Die Smartwatch ermittelte über Sensoren die Herzfrequenz am Handgelenk. Zudem erfasste sie die Fahrzeit als auch per GPS die zurückgelegte Strecke. Weitere Informationen wurden mithilfe von Fragebögen erhoben. Die Forschenden interessierte vor allem, wie viele der Teilnehmenden wöchentlich 150 Minuten oder mehr bei moderater bis intensiver Belastung radelten (Moderate to Vigorous Physical Activity – MVPA) oder alternativ dazu 75 Minuten bei intensiver Belastung. Diese Umfänge empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO zur allgemeinen körperlichen Gesunderhaltung.
Sogar über 12 Monate hinweg informierten die Teilnehmenden das Forschungsteam, ob sie mit dem Fahrrad verunfallten oder einen Beinahe-Unfall hatten.
5. Welche Erkenntnisse stechen aus dem Spiegel-Interview hervor?
Im Gespräch mit dem Spiegel nennt Professor Uwe Tegtbur etliche medizinische Fakten, die so nicht in der Erstveröffentlichung der Studienergebnisse enthalten sind. Er spricht davon, dass bereits das tägliche Fahren einer Strecke zwischen zwölf und 15 Kilometern mit einem E-Bike folgende Effekte mit sich bringe:
- um 40 Prozent niedrigeres Risiko für einen Herzinfarkt
- um 50 Prozent niedrigeres Risiko für das Metabolische Syndrom in Form von Übergewicht, Bluthochdruck sowie Zucker- und Fettwechselstörungen
- um 30 Prozent niedrigeres Risiko einer Krebserkrankung
- reduzierter Cholesterinwert
- niedrigeres Risiko einer Fettleber
- niedrigeres Risiko einer Demenz- und Alzheimer-Erkrankung
Tegtbur stellte heraus, das E-Bike-Fahren sehr wohl Sport sei. Gut, alle, die nicht an jedem Berg den Fahrmodus auf „Turbo“ einstellen, hätten das auch ohne wissenschaftliche Studie bestätigen können. So ist es eben noch einmal mit harten Kriterien untermauert. Vor allem das längere Bewegen bei einer durchschnittlichen Herzfrequenz von 110 Schlägen pro Minute stärke das Herz-Kreislauf-System. Eine solche Intensität entspräche zwischen 60 und 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz derjenigen, die an der Studie teilgenommen hätten. „Ein besseres Training im Grundausdauerbereich gibt es aus wissenschaftlicher Sicht nicht“, sagte Tegtbur dem Spiegel.
Vergleich des durchschnittlichen Prozentsatzes der maximalen Herzfrequenz beim Fahren mit einem herkömmlichen Fahrrad und einem E-Bike
6. Welche Daten zur Fahrradnutzung liegen zusätzlich vor?
Wer ein herkömmliches Fahrrad fährt, bewegt sich dagegen öfter auf einem etwas höheren Belastungsniveau. Daher liegt der Durchschnittspuls hier bei 119 Schlägen pro Minute. Genau 35 Prozent dieser Menschen erreichen tatsächlich die 150 Minuten pro Woche oder mehr an moderater bis intensiver Anstrengung, während der Anteil bei den E-Bike-Fahrenden bei 22,4 Prozent liegt. Aus den Ergebnissen geht zudem hervor, dass E-Bike-Fahrende seltener pro Woche auf das Fahrrad steigen. Im Durchschnitt kommen sie auf rund vier Fahrten. Der Wert der Kontrollgruppe beträgt fast sechs. Am Ende der Woche stehen bei ihr auch fast 25 Minuten mehr an der gesamten Fahrzeit zu Buche.
Bei der Dauer einer Fahrt haben dagegen die E-Bike-Fahrenden die Nase vorn. Sie sind 6,5 Minuten länger unterwegs.
- Vergleich der durchschnittlichen Gesamtfahrzeit pro Woche beim Fahren bei moderater bis intensiver Belastung mit einem herkömmlichen Fahrrad und einem E-Bike
- Vergleich der durchschnittlichen Gesamtfahrzeit pro Woche beim Fahren mit einem herkömmlichen Fahrrad und einem E-Bike
7. Was bewegt die Menschen zum Fahrradkauf?
Einigkeit herrscht unter den an der Studie Teilnehmenden, wenn es um die Frage geht, warum sie sich ein Fahrrad zulegen – egal ob mit oder ohne Motorunterstützung. Man wolle der eigenen körperlichen Fitness etwas Gutes tun, heißt es unisono. An zweiter Stelle nennen die E-Bike-Fahrenden dann bereits den Komfort, den das bequeme Radfahren mit einem E-Bike biete. In der Kontrollgruppe erhält diese Aussage nur halb so viel Zustimmung. Motive wie die Umweltverträglichkeit oder die langfristige Kostenersparnis im Vergleich zu einem Pkw oder dem öffentlichen Nahverkehr spielen bei beiden Gruppen lediglich eine untergeordnete Rolle.
8. Wie gefährlich ist das Fahren mit einem E-Bike?
Im Laufe der Untersuchung zählten die Forschenden 109 Unfälle und 157 Beinaheunfälle. Betroffen davon waren beide untersuchten Gruppen in vergleichbarem Maße, sodass sich am Ende keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen ihnen zeigten. Unter den Frauen lag die Häufigkeit der Unfälle bei den E-Bikerinnen leicht höher als bei den Fahrradfahrerinnen. Trotz allem erkannten die Forschenden drei voneinander unabhängige Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall erhöhen:
- Fahren mit einem E-Bike
- wöchentliche Fahrzeit von mindestens 110 Minuten
- wöchentlich mehr als drei einzelne Fahrten
9. Welches Verkehrsmittel ersetzt das E-Bike?
Wer ein E-Bike fährt, verzichtet im Umkehrschluss meist auf das eigene Auto. Wer ein herkömmliches Fahrrad fährt, ersetzt dagegen dadurch überwiegend Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr. Was beide Gruppen jedoch nicht tun: Wege zu Fuß durch das E-Bike oder das herkömmliche Fahrrad zu ersetzen. Dieser Anteil bleibt in beiden Fällen konstant.
10. Fazit
Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt jedem Menschen zur Förderung der eigenen Gesundheit ein Minimum von 150 Minuten pro Woche an körperlicher Bewegung bei moderater bis intensiver Belastung. Nach Einschätzung des Teams der MHH lässt sich dieses Ziel besser durch das Fahren mit einem herkömmlichen Fahrrad erreichen, als durch das Fahren mit einem E-Bike. Allerdings sehen die Forschenden im E-Bike dennoch großes Potenzial mit Blick auf die Gesundheitsförderung. Es könnte nämlich sowohl ältere, übergewichtige als auch sportlich wenig aktive Menschen dazu bewegen, auf zwei Räder umzusteigen, die sonst kein Fahrrad benutzen würden. Die Technologie eröffne ihnen die Möglichkeit, „trotz körperlicher Einschränkungen weiter Rad zu fahren und so ihre körperliche Aktivität und Fitness aufrechtzuerhalten“.
Studie und Bildquelle:
Haufe S, Boeck HT, Häckl S, et al Impact of electrically assisted bicycles on physical activity and traffic accident risk: a prospective observational study. BMJ Open Sport & Exercise Medicine 2022;8:e001275. doi: 10.1136/bmjsem-2021-001275
Weitere Bilder: Medizinische Hochschule Hannover (MHH); Giant Deutschland GmbH