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Meins? Meins? Keins? – Shops und Läden gehen die E-Bikes aus

Nachfrage nach E-Bikes Anfang 2021 höher als produzierte Menge

„Fernost kommt einfach nicht nach mit den Bestellungen.“ „Viele Bikes können wir nicht ausliefern, weil wir auf fehlende Komponenten warten.“ Mit diesen beiden Zitaten aus der am Dienstag erscheinenden Ausgabe des Magazins „Bike“ ist an sich schon vollumfänglich beschrieben, was sich derzeit rund um den Fahrradhandel in Deutschland abspielt. Getätigt haben die Aussagen Jürgen Schlender, Inhaber von Alutech Bikes, und Anatol Sostmann, Director Product & Brand beim Online-Versender Rose Bikes. Fahrräder der Saison 2021 sind Mangelware und Schlender, Sostmann sowie die gesamte Branche können ein leidvolles Lied davon singen. Nicht zu vergessen, ihr, die vielleicht schon auch vergeblich nach Teilen oder Bikes gesucht habt.

Wieso gibt es jetzt Engpässe?
Was folgt daraus?
Wann bessert sich die Situation?
Was tun?

Angekündigt haben sich diese Engpässe schon vor Monaten. Die erste Welle der Corona-Pandemie brachte im Frühjahr und Sommer in Europa die Industrie nicht zum Erliegen. Zum Beispiel in China sah das ganz anders aus. Dort ordnete die Regierung die Vollbremsung an, um das Virus in den Griff zu bekommen. Wochenlang wurde nichts oder nur auf niedrigem Niveau produziert. Da ein Großteil der Fahrradhersteller in beträchtlichen Umfängen in China produzieren lassen, waren weltweite Auswirkungen vorprogrammiert.

Welche Folgen dies nach sich zog, wurde etwa während eines Webinars der beiden Handelsverbände World Bicycle Industry Association (WBIA) und World Federation of the Sporting Goods Industry (WFSGI) Anfang Dezember 2020 sichtbar. Dort schilderte unter Anderem der Komponentenhersteller KMC aus Taiwan seine Lage. Robert Wu und Kevin Chen zeigten eine Übersicht zu den Teilen an einem Fahrrad. An jedes Teil hatten sie die „lead time“ geschrieben, also die Zeit von der Beauftragung bis zur Bereitstellung der Artikel. Keine der Angaben lag unter 180 Tagen. Für Sättel, Bremsen und Laufräder kalkulierte KMC mit mehr als einem Jahr.

Übersicht zu lead times für Fahrradteile beim Hersteller KMC im Dezember 2020

So schätzte der Hersteller KMC die lead times für Fahrradteile im Dezember 2020 ein.

Wieso gibt es jetzt Engpässe?

Warum es derzeit in den hiesigen Fahrradläden und Onlineshops derart leergefegt aussieht, hat mehrere Gründe:

1. Zeitiger Beginn der Fahrradsaison 2021

Fahrradhersteller stellten zum Teil bereits im Juni 2020 ihre ersten Modelle der Saison 2021 vor. Manche davon waren sofort verfügbar. Entsprechend schnell baumelte an den ersten Modellreihen das Schild „Ausverkauft“. Das Kalenderjahr 2021 lag da noch ein gutes Stück voraus.

2. Verändertes Verhalten vieler Menschen weltweit als Reaktion auf die Corona-Pandemie

Die Bitte, den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. Weniger Autoverkehr einhergehend mit kurzfristig aus dem Boden sprießenden Pop-Up-Fahrradwegen. Die Erkenntnis, dass Fahrradfahren nicht nur das Ansteckungsrisiko senkt, sondern auch allgemein eine gute Investition für das ganz persönliche Gesundheitsmanagement bedeutet. Diese und weitere Gründe ließen das Fahrrad in der Liste unserer Lieblingskonsumgüter plötzlich weit nach oben klettern. Die Welt drehte sich weiter, aber irgendwie anders als zuvor.

3. Hersteller unvorbereitet

Jedes Unternehmen kalkuliert wahrscheinlich ziemlich gern ein Wachstum im eigenen Jahresausblick ein. Und Fahrradhersteller hatten auch vor der Pandemie reichlich Grund zum Optimismus. Der Verkauf an E-Bikes in Europa steigt beispielsweise seit Jahren an. Jedoch kontinuierlich und nicht sprunghaft. So waren die Unternehmen schlichtweg überfordert von dem Ausmaß des Ansturms auf ihre Produkte.

Fahrradteile in verschiedenen Teilen der Welt produziert

Fahrradteile werden auf der ganzen Welt hergestellt. Der Schwerpunkt liegt jedoch in Asien.

4. Keine Saison spürbar

Gewöhnlich zeigt der Graph der Verkaufszahlen in der Fahrradbranche eine Wellenform. Richtung Frühjahr und Sommer geht es aufwärts. Mit dem nahenden Winter ebbt das Interesse ab und die Kurve zeigt nach unten. Nicht so im vergangenen Jahr. Die Nachfrage stieg in kürzester Zeit auf ein sehr hohes Niveau und pegelte sich darauf ein. Nix mit Durchschnaufen von November bis Januar.

5. Maßnahmen der Industrie greifen noch nicht

Zur Ehrenrettung der Unternehmen sollte man anfügen: … in vollem Umfang. Um Rohstoffe und andere für die Produktion dringend erforderliche Materialien ist mitunter noch immer knapp bestellt. Hinzukommen personelle Engpässe. Erkrankungen, Quarantäneregelungen, vorgeschriebene tägliche Tests und andere Einschränkungen rund um Covid-19 sorgen dafür, dass viele Fabriken mit Unterbesetzung kämpfen. Unter dem Strich können sie ihr Potenzial nicht komplett ausschöpfen. Die nagelneue Montagestrecke oder Werkhalle nutzt wenig, solange sie verwaist leibt.

6. Ansteigende Frachtkosten

Auf einem Containerschiff sind Fahrräder nur eine Ware von vielen. Im Zuge der Pandemie ist allerdings auch die Nachfrage nach anderen Dingen gestiegen. Haushaltswaren und Elektronik stehen beispielsweise ebenfalls hoch im Kurs. Dummerweise wird auch davon ein Großteil in Asien gefertigt. Deshalb übersteigt die Nachfrage nach Schiffstransport von dort nach Europa im Moment das Angebot an Frachtraum der Reedereien, berichtet die Tageszeitung „Welt“. In der Folge braucht der Transport länger und wird teurer. Sehr viel teurer. Preissprünge von 100 Prozent binnen einer Woche waren im Dezember 2020 keine Seltenheit. Laut dem Onlineportal „Internetworld“ explodierte der Preis für einen Standard 40 Fuß Container von gut 1.000 USD im Oktober auf über 6.000 USD im Januar.

Große Konzerne haben längerfristige Vereinbarungen mit den Reedereien geschlossen. Sie bringen das nötige Volumen mit in die Verhandlungen ein. Je kleiner das Unternehmen und je geringer das Transportvolumen, desto komplizierter gestaltet sich dieses Unterfangen. Wer nicht ständig mit seinen Lieferanten in Kontakt bleibt, gerät schnell ins Hintertreffen. Wartezeiten bis zu drei Monate auf freie Plätze auf einem Containerschiff ergeben sich ziemlich schnell.

Vollbeladenes Containerschiff

Auf den Containerschiffen von Asien nach Europa bleibt derzeit kein Platz ungenutzt.

Mit diesem Engpass lässt sich natürlich auch wunderbar Geld verdienen. Schließlich müssen an Chinas größten Häfen Ladungen oft mehrere Wochen lang „gerollt“ werden, sprich ihr Ausfuhrtermin wird ständig weiter nach hinten verschoben. So berichtete der Handelsexperte „German Trade & Invest“ davon, dass die zuständigen Institutionen garantierte Stellplätze auf ganz bestimmten Abfahrten nur noch an diejenigen vergeben, die als Gegenleistung zusätzliche Services kaufen.

Der Blick in den chinesischen Kalender spitzt die Lage weiter zu. Im Februar steht im Reich der Mitte das traditionelle Neujahrsfest an. Wanderarbeiter reisen heim zu ihren Familien. Eine Woche lang kommt das Land praktisch zum Erliegen. Kurzfristige Entspannung sieht anders aus.

Dann vielleicht die Fahrräder über den Luftweg herbringen? Eher nicht. Für die Luftfracht wurden bisher meist Frachträume von Passagiermaschinen genutzt. Nachdem der Personenluftverkehr fast komplett zum Erliegen gekommen ist, fällt auch diese Option weg. Die Anzahl der Frachtflugzeuge weltweit reicht bei weitem nicht aus, um diese Lücke auch nur annähernd zu schließen.

Was folgt daraus?

1. Modelle für 2021 schnell ausverkauft

Die Rechnung ist simpel: Mehr Menschen möchten ein Gut, für das jedoch mit einer geringeren Nachfrage gerechnet wurde. Die 2021er Bikes werden also verdammt schnell über den Ladentisch oder in den Warenkorb wandern. Schneller als in den Jahren zuvor.

E-Bikes Anfang 2021 in Shops und Läden fast komplett ausverkauft

Gerät die globale Logistik ins Stocken, spüren Shops und Fahrradläden in Deutschland relativ schnell die Folgen.

2. Nachschub die Ausnahme

Vor allem mit Blick auf die Kompletträder sieht sich die Fahrradbranche ein Stück weit in ihren eigenen Routinen gefangen. Es ist zur Regel geworden, dass von jedem Modell in jedem Jahr eine neue Version auf den Markt kommt. Selbst, wenn die einzige Änderung eine neue Lackierung ist. Die Fabriken müssen sich notgedrungen auf ein neues Sortiment vorbereiten – in diesem Falle auf die Saison 2022. Genau darauf wird wohl bei den meisten der Fokus liegen. Somit bleibt kaum Zeit, um eventuell Nachschub für einen Artikel herzustellen, weiter nachgefragt wird.

3. Preissteigerungen

Im Abschnitt zu den Frachtkosten sind einige von euch vielleicht schon hellhörig geworden. Gestiegene Preise für den Transport? Wer wird dafür aufkommen? Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es eine ganz natürliche Reaktion, wenn dieses Plus zum Teil an die EndkundverbraucherInnen, sprich euch, weitergegeben wird. Die spannende Frage lautet: Welches Augenmaß beweist dabei welcher Hersteller? Hier die Konditionen ein paar ausgewählter Marken:

  • Flyer: pro E-Bike 100 Euro, gültig seit 01.01.2021
  • Giant: im Schnitt um vier Prozent, gültig ab 01.02.2021
  • KTM: pro E-Bike 100 Euro, gültig ab 15.02.2021
  • Tern: pro E-Bike 100 Euro, gültig ab 01.02.2021
  • Trek: unterschiedliche Spannen, durchschnittlich weniger als fünf Prozent, gültig seit 15.01.2021

Wann bessert sich die Situation?

Die Antwort darauf hängt davon ab, über welches Fahrrad, über welche Komponente wir reden. Eine allgemeingültige Aussage lässt sich dazu nicht treffen. In manchen Fällen bringt vielleicht schon der Frühjahrsbeginn ein erstes Licht am Ende des Tunnels, in anderen wird es das ganze Jahr über ziemlich düster bleiben.

Was tun?

Möglichkeit 1: Ersatz finden

„Andere Mütter haben auch schöne Töchter!“ Ein unsinniger Spruch, der vermutlich kaum jemanden weiterhilft, der sich nach einer enttäuschten Romanze so etwas anhören muss. Für uns passt der hier aber ganz gut, zumindest im übertragenen Sinne. Läuft die Suche nach eurem Wunschartikel ins Leere? Dann gibt es ja vielleicht einen Artikel, der dem sehr nahekommt und immerhin lieferbar ist. Überspitzt könnte man sagen: Der Trend geht 2021 zum Ersatzprodukt.

Möglichkeit 2: Jagdrevier erweitern

Dass ein Bike ausverkauft ist, heißt nicht, dass es ausverkauft ist. Wie das? „Während ein Händler ausverkauft ist, kann es in der Nachbarstadt Shops geben, die das gewünschte Bike noch anbieten“, erklärt Cube-Produktmanager Frank Greifzu in der Bike treffend. Was für klassische Läden gilt, gilt ebenso für Onlineshops. Je weiter der Suchradius, desto größer die Aussicht auf Erfolg.

Möglichkeit 3 – Sich in Geduld üben

Ein Großteil des Dramas der Lieferengpässe spielt sich in Asien ab. Glücklicherweise kommen aus der Region auch passende Lösungsansätze. Alt bewährte Weisheiten, die uns in der Entschleunigung erleuchten. Kostprobe gefällig? „Wer die Geduld verliert, ist schon halb verloren.“ Ich bin zwar kein Chinese, aber das leuchtet selbst mir ein. Klingt aber irgendwie noch nicht spirituell genug. „Der Schlüssel zu allem ist Geduld. Nicht durch Aufschlagen, sondern durch Ausbrüten wird aus dem Ei ein Küken.“ Küken ausbrüten. Schon viel besser. Das geht in die richtige Richtung. Sicher können die Chinesen da aber noch eins draufsetzen. „Das Wort Geduld ist ein Schatz im Haus.“ Jaaaaaaaaaa. Das könnte funktionieren. Wer kommt mit auf Schatzsuche?

Woom erklärt euch das Ganze per Video

 

Bilder: woom GmbH; KMC; Julius Silver auf Pexels

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