Die Mobilitätswende als Teil der Klimawende ist in aller Munde. Cargobikes sollen ein Teil dieser Entwicklung sein. Genau genommen sind sie es bereits. Nur dürfte dieser Teil gern auch jetzt schon deutlich größer ausfallen. Beziehungsweise ist dies das Ziel in den kommenden Jahren. Wie sich das erreichen lässt, darüber diskutierten VertreterInnen von Fahrradverbänden und Wissenschaft, Fahrradhersteller, UnternehmerInnen sowie KommunalpolitikerInnen auf der Velotransport Anfang des vergangenen Oktobers in Berlin. Wir waren auf der Fachkonferenz zu Besuch und haben vor allem bei zwei Punkten genau zugehört:
- Wofür werdet ihr Lastenfahrräder künftig nutzen können?
- Wie sehen die Lastenfahrräder der kommenden Jahre aus?
Nicht mehr als ein Teilerfolg
Wer darüber spricht, was sich mit einem Lastenrad anstellen lässt, kommt meist an zwei Worten nicht vorbei – Kinderbeförderung und Logistik. Beide sind in dem Zusammenhang inzwischen fest gesetzt. Ihre Anwendung hat zahlreiche Formen angenommen, vom einfachen Longtail-Bike mit einem oder zwei Kindersitzen auf dem Gepäckträger bis hin zum vollverkleideten Lastenrad, das für große Logistikfirmen oder Elektronikmärkte Waren ausfährt und fast wie ein kleiner Transporter aussieht. Das sind genauso wichtige wie nützliche Praxisfälle, die helfen, die Emission von Schadstoffen zu vermeiden, die dem Stau in den Innenstädten entgegenwirken und für alle Beteiligten wertvolle Zeit- und Kostenersparnisse mitbringen.
Nach Einschätzung der an der Konferenz Teilnehmenden wird das jedoch längst nicht ausreichen, damit das Lastenrad auf lange Sicht in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Diese Feststellung impliziert gleichzeitig den Gedanken, dass Cargobikes ein Potenzial bieten, das weit über das des Kindertaxis auf zwei Rädern und der rollenden Paketbox hinausgeht. Gerade Fahrradhersteller und Serviceunternehmen wollen unbedingt verhindern, auf diese beiden Stereotypen festgelegt zu werden. Um dieser gedanklichen Blase zu entkommen, legte die Velotransport ganz bewusst den Fokus auf den Austausch, der über den zwischen Herstellern und KundInnen hinausgeht.
1. Wofür werdet ihr Lastenfahrräder künftig nutzen können?
Im Zentrum der Diskussion stand unter anderem die Frage, in welchen Anwendungsfällen sich Lastenfahrräder zukünftig bewähren können. Für euch fassen wir mal ein paar der Beispiele zusammen, die bereits heutzutage vereinzelt umgesetzt sind und gute Chancen für auf eine größere Verbreitung mitbringen.
Mit Schaufel und Besen
Zahlreiche Straßen- und Gebäudereinigungen kommen gewöhnlich mit einem Kleintransporter vorgefahren. Manche Kommunen und Unternehmen haben erkannt, dass sich die nötigen Utensilien für das Rasenmähen, Bewässern von Flächen oder Verschneiden von Bäumen und Sträuchern sehr wohl auch mit einem Lastenrad bewegen lassen. Erst recht, wenn zusätzlich ein Anhänger zum Einsatz kommt. Straßenreinigung, Gebäudereinigung sowie die Pflege von Außenanlagen durch öffentliche und private sind definitiv Kandidaten für die Anschaffung von E-Cargobikes.
- Das E-Lastenfahrrad verfügt über eine Kippwanne und Abfangstützen.
- Gebaut wurde das Bike für einen gehbehinderter Mitarbeiter der Stadtwerke Leer.
- Laubläser und Co. finden in dem Gespann jede Menge Platz.
- Mit der größere Ausführung sind selbst Abfalltonnen kein Problem.
Im Dienst der Gesundheit
Deutlich höher liegen die Hürden bei dem Transport von Medikamenten. Je nach Menge und Spezifikation sind dafür klimatisierter Cargoboxen nötig, die gemäß entsprechender Richtlinien wie der Good Distribution Practice-Drug Product (GDP-DP) von einem Prüfinstitut zertifiziert sein müssen. Wer den technischen und bürokratischen Aufwand nicht scheut, kann den Warenverkehr zwischen Großhandel, Apotheken, Krankenhäusern und PatientInnen auf ein Fahrrad verlagern.
Beim Hersteller Radkutsche ist in Kooperation mit einem Fahrradkurier aus Freiburg/Br. diese Spezialanfertigung entstanden.
„Darf ich Sie kurz etwas fragen?“
Einigen von euch wird im zurückliegenden Bundestagswahlkampf sicher das ein oder andere Infomobil von Parteien aufgefallen sein. Gerade wer jederzeit in den Fußgängerzonen dieses Landes präsent sein möchte, könnten seinen Stand auch in ein Lastenfahrrad integrieren lassen. Neben Parteien könnte dies Vereine, Verbände und ähnliche Initiativen interessieren. Je nach Größe passen in ein solches Fahrzeug Broschüren, Flyer, Kataloge, Verpflegung, Merchandise, ein Dach und andere Dinge. Wer auf Spezialanfertigungen zurückgreift, kann selbst gekühlte Getränke reichen. Erneut könnte ein Anhänger ins Spiel kommen und zum Beispiel Stühle, Klapptische, Aufsteller und was sonst noch mit muss aufnehmen.
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
Zum Stadtbild mancher Kommune gehört inzwischen auch ein Lastenfahrrad, von dem aus Essen und Getränke verkauft – und das in jeder erdenklichen Form. Kaffee, Tee, Eis, Suppen und Sandwiches kommen einem schnell ins Gedächtnis. Egal, ob Kleinunternehmen oder deutschlandweit agierende Kette, der Markt scheint ausgesprochen zukunftsträchtig. Nicht umsonst gibt es auf diesem Sektor schon jetzt zahlreiche spezielle Gefährte und Aufbauten.
Wenn Kinderherzen höherschlagen
Eine Seltenheit sollte dagegen momentan noch ein Lastenrad für Kindertagesstätten und Personen der Kindertagespflege sein. Gemeinsam mit Kindern die nähere Umgebung erkunden oder auch mal ein paar Kilometer weg zu fahren, ist für ErzieherInnen sowie Tagesmütter und -väter oftmals mit recht hohen Hürden verbunden. Meist entscheidet die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs, ob sich Ideen umsetzen lassen oder nicht. Ein E-Cargobike mit sechs Sitzplätzen, Sicherheitsgurten für alle Insassen und einer abnehmbaren Überdachung kann in dieser Situation zum vielzitierten Gamechanger werden. Mit auseichend Licht und Reflektoren ausgestattet geht es damit zudem sicher durch den Straßenverkehr.
- Bis zu acht Kinder passen auf dieses Bike.
- Jeder Sitzplatz ist mit einem Drei-Punkt-Gurt ausgestattet.
Raus und weg
Urlaub bedeutet seitjeher mehr als nur zwei Wochen auf Mallorca. Nicht für alle muss es soweit weggehen, nicht immer steht so viel Zeit zur Verfügung. Hersteller wie More Cargobike beginnen sich mit dem Kurzurlaub zu beschäftigen, dessen Ziel in der näheren Umgebung liegt oder ohne großartiges Umsteigen mit dem Bus und Bahn erreichbar ist. Platz für eine Zeltausrüstung und Ähnliches bieten schon heute unzählige Lastenfahrräder. Kommen noch Anschlüsse für ein paar nützliche Geräte wie eine Kühlbox und lassen sich die eigenen Sachen direkt am Bike sicher verstauen, eröffnen sich im Freizeitbereich ebenfalls neue Möglichkeiten.
- More Cargobikes haben einen speziellen Aufbau für Campingabenteuer und mehr entworfen.
- E-Cargobikes wie das Calderas Gravel von Sblocs eignen sich auch für sportlichere Aktivitäten.
2. Wie sehen die Lastenfahrräder der kommenden Jahre aus?
Mächtige Anhängsel
Zuvor klang es an mehreren Stellen an, Anhänger sind schon jetzt für vielen Anwendungen eine maßgebliche Erweiterung. Das wird in nächster Zukunft vermutlich weiter zunehmen. Die Argumente dafür leuchten schnell ein. Modelle von Herstellern wie Carla Cargo bedeuten, dass noch einmal 150 Kilogramm mehr bewegt werden können. Im Falle des Exemplars von Wuppdi sogar 300 Kilogramm. Für Privatpersonen wird das kaum eine Rolle spielen. Unternehmen unterschiedlichster Branchen zeigen dagegen enormes Interesse.
- Carla Cargo hat Unternehmen wie Amazon von den Vorzügen ihres Anhängers überzeugen können.
- Auf ähnliche Resonanz hofft sicher auch der Mitbewerber Wuppdi.
Oftmals ist vielleicht sogar nicht das Gewicht, sondern der Platz der entscheidendere Faktor. Große Ladeflächen von mehr als anderthalb Metern Länge und rund 67 Zentimeter Breite sind per se sehr vielseitig nutzbar. Als Grundfläche für verschiedenste Aufbauten potenziert sich ihr Einsatzspektrum ein weiteres Mal. In der Regel sind die von den Abmessungen her an die der Euronorm-Boxen angepasst. Gleichzeitig bleiben die Anhänger in ihrer Gesamtbreite so schmal, dass sie auf Fahrradwegen fahren dürfen.
Die Hybrid-Flotte
Für jemanden, der weiß, dass er ständig derartig schwere und großvolumige Lasten bewegen möchte, kommen Fahrzeuge in Frage, die von vornherein auf solche Dimensionen ausgelegt sind. Deren Boxen fassen Volumen von zwei Kubikmetern und Nutzlasten von deutlich mehr als 200 Kilogramm. Herkömmliche E-Bike-Antriebe mit Ketten- oder Nabenschaltungen sowie einer Kraftübertragung per Kette und Riemen sind damit auf Dauer überfordert. Nicht so Lastenfahrräder von Citkar, Onomotion oder Urban Mobility. Ihr Hybridantrieb mit Generator und elektrischer Leistungsumwandlung basiert auf Technik aus dem Automobilbereich und verspricht die nötige Standfestigkeit. Es wäre nicht verwunderlich, wenn noch mehr Hersteller auf diese Form des Antriebs setzen würden.
- Loadster von Citkar
- Lastenrad mit herausrollbarem Container von Onomotion
- Freiluftveranstaltung für die Fahrenden beim Lastenrad von Urban Mobility
Wer möchte nicht etwas Besonderes sein?
Einige Zeichen deuten darauf hin, dass die Spezialisierung, wie sie am Citkar Loadster und anderen Fahrrädern zu beobachten ist, weiter voranschreitet. Bislang wollten Cargobikes immer vielfältig einsetzbar sein, um eine möglichst breitgefächerte Zielgruppe anzusprechen. Diese Modelle werden keineswegs verschwinden. Wie auf der Velotransport gesehen, werden neben ihnen jedoch Lastenfahrräder auftauchen, die auf eine ganz spezielle Aufgabe ausgerichtet sind und diese besser erfüllen, als ein „Alleskönner“.
- Frisch auf der Velotransport vorgestellt: Lösung von Mäx&Mäleon für den Personentransport.
- Für das Bewegen von Blumen von A nach B hält die österreichische Firma Floradl spezielle Lösungen parat.
- In den vergangenen Jahren immer mal in den Medien präsent waren Lastenräder für Bestattungsunternehmen.
- Manche Nische erweist sich aber auch als zu klein. Sortimo produziert sein Procargo CT 1 für Handwerksbetriebe nicht mehr.
Bilder: Bededamerne.dk v. Sille Kongstad CVR; Carla Cargo Engineering GmbH; Floradl; Onomotion GmbH; Mäx & Mäleon GmbH; Sortimo International GmbH; Urban Mobility GmbH; Velofracht GmbH; Velokonzept GmbH; Wuppdi Design and Engineering UG