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Warnt uns das E-Bike-System künftig vor gefährlichen Stellen im Straßenverkehr?

Feldtest eines Warnsystems für E-Bikes, das Unfälle im Straßenverkehr vermeiden soll

Über das Fahren mit dem E-Bike lässt sich viel Positives sagen und mit fundierten Analysen belegen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass laut dem Statistischen Bundesamt seit 2014 die Zahl der Unfälle mit einem Pedelec in Deutschland konstant ansteigt. Andere Statistiken wie zum Beispiel Untersuchungen der International Traffic Safety Data and Analysis Group (IRTAD) zeichnen ein ähnliches Bild und ermittelten beispielsweise für die Schweiz, Belgien und die Niederlande ebenfalls steigende Unfallzahlen.

Wie lässt sich diese Entwicklung stoppen? Das fragt sich nicht nur die Fahrradindustrie, sondern auch die Wissenschaft. So testeten etwa vier Forschende, drei von der Universität Twente in Enschede und eine von der Hogeschool Saxion, ein System für E-Bikes, das Fahrende warnt, wenn diese sich im Straßenverkehr Stellen mit einem erhöhten Unfallrisiko nähern. Sie wollten wissen, ob Menschen eine solche Lösung annehmen und ob sich damit Unfälle tatsächlich vermeiden lassen.

1. Das Warnsystem für E-Bikes
2. Die Testbedingungen
3. Der Ablauf der Feldstudie
4. Ergebnisse der Forschenden
5. Könnte ein Warnsystem für E-Bikes künftig auf dem Markt erscheinen?
6. Hintergründe zur Studie

1. Das Warnsystem für E-Bikes

Für ihren Feldtest entwickelten die Forschenden ein eigenes, intelligentes Warnsystem. Neben einem GPS-Sensor umfasste es weitere am E-Bike installierte Sensoren sowie zwei am Lenker angebrachte Smartphones. Eines der Smartphones diente zur Navigation. Auf dem anderen sahen die E-Bike-Fahrenden permanent ihre aktuelle Fahrgeschwindigkeit. Zudem erschienen situativ gesteuert optische Warnungen, das heißt, drei Viertel des Bildschirms wechselten ihre Farbe von Schwarz zu Grün oder zu Rot – abhängig vom jeweiligen Ereignis.

Die E-Bike-Fahrenden selbst erhielten für den Versuch Kopfhörer, die sie unter einem Fahrradhelm trugen. Bei den Kopfhörern handelte es sich um Knochenschall-Kopfhörer, damit die darüber gesendeten akustischen Signale hörbar waren, aber nicht die Geräusche der Umgebung übertönten. Zur Ausstattung während des Tests gehörten zudem spezielle Handschuhe. Über diese wurde ein taktiles Signal an die Probanden gesandt, sodass diese eine Vibration wahrnahmen.

Um die Probanden nicht unnötig während der Fahrt abzulenken, sendete das Warnsystem nur Signale, sobald sie sich potenziellen Gefahrenzonen näherten, diese verließen sowie eine empfohlene Geschwindigkeit über- beziehungsweise unterschritten.

Übersicht zur Logik der Signalgebung bei dem Prototypen eines Warnsystems für E-Bikes, das Unfälle im Straßenverkehr vermeiden soll
Der Prototyp des Warnsystems der Forschenden sendet optische, akustische und haptische Signale an die Probanden. Die Logik wurde speziell auf das Passieren von Stellen im Straßenverkehr ausgerichtet, an den ein erhöhtes Unfallrisiko für E-Bike-Fahrende bestand.

2. Die Testbedingungen

Als Grundlage für den im April und Mai 2024 in Enschede absolvierten Test diente eine fest definierte Route von 3,4 Kilometern. Auf ihr befanden sich fünf Stellen mit einem erhöhten Unfallrisiko für Fahrradfahrende. Die Forschenden beschreiben die Strecke als eine, auf der gemischter Verkehr herrscht. Die E-Bike-Fahrenden fuhren abwechselnd je nach Gegebenheit des jeweiligen Abschnittes auf der Straße, auf separaten Radwegen und Fahrradspuren. Entlang der Strecke lagen eine Schule und ein Einkaufszentrum.

Dieses urbane Setting kommt nicht von ungefähr. Erwiesenermaßen ereignen sich die allermeisten Unfälle mit E-Bike-Fahrenden im städtischen Verkehr. Als Testgruppe konnten die Forschenden insgesamt 46 Personen gewinnen, die regelmäßig Fahrrad fuhren und älter als 18 Jahre alt waren.

Karte der Teststrecke für den Feldtest eines Warnsystems für E-Bikes, das Unfälle im Straßenverkehr vermeiden soll
Die Teststrecke befand sich im Nordwesten von Enschede. Auf weiten Teilen davon bestand ein mittleres Unfallrisiko für E-Bike-Fahrende.

3. Der Ablauf der Feldstudie

Wie bereits erwähnt, kann das von den Forschenden entwickelte System E-Bike-Fahrende vor Stellen im Straßenverkehr waren, an denen ein erhöhtes Risiko für einen Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmenden oder ein anders gearteter Unfall droht. Es forderte die Probanden auf, an diesen Stellen mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h zu fahren.

Alle Probanden fuhren die Teststrecke insgesamt dreimal. Der erste Durchgang diente unter anderem sowohl zum Kennenlernen der Strecke als auch des E-Bikes. Bei abgeschaltetem Warnsystem sahen die Probanden ausschließlich ihre eigenen Fahrgeschwindigkeiten.

Für Durchgang Nummer zwei aktivierten die Forschenden das Warnsystem. Das heißt, es lieferte gegebenenfalls die entsprechenden optischen Hinweise zur Geschwindigkeit und das Signal für das Befahren und Verlassen der Gefahrenzone. Durchgang Nummer drei lief unter beinahe identischen Voraussetzungen ab. Lediglich die Methode der Signalgebung für die Geschwindigkeitsanpassung änderte sich. Wer in Durchgang 2 einen Signalton gehört hatte, bekam nun den taktilen Impuls – und umgekehrt. In einem Zwischenschritt beantworteten die Probanden nach jeder Runde einen Fragebogen. In dem hielten sie die gemachten Erfahrungen fest, gaben an, wie sicher sie sich beim Fahren gefühlt hatten und wie stark sie dem Warnsystem vertrauten.

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4. Ergebnisse der Forschenden

Als eines der wichtigsten Erkenntnisse ihres Feldtests bewerten die Forschenden die Tatsache, dass ihr Warnsystem den E-Bike-Fahrenden ein größeres Maß an subjektiv empfundener Sicherheit verlieh. Erst recht, da aus dem Gefühl eine messbare Verhaltensänderung resultierte. Mit dem Hinweis auf die nahende Risikostelle verlangsamten die Probanden ihre Fahrt um durchschnittlich 2 km/h. Unter Umständen trägt dieses Abbremsen dazu bei, dass sich Unfälle vermeiden oder Unfallfolgen abschwächen lassen. Im Vergleich zum Fahren mit deaktiviertem Warnsystem sank bei aktivem System sogar die generelle Durchschnittsgeschwindigkeit der Probanden.

Trotz des veränderten Fahrens gaben die Probanden an, dem System nur bedingt zu trauen. Gerade mit dem Empfangen des akustischen Signals hatten die Probanden häufiger Probleme, sodass sie ihre Einschätzung herabstuften.

5. Könnte ein Warnsystem für E-Bikes künftig auf dem Markt erscheinen?

Die Forschenden merken in ihrem Bericht an, dass vor allem die technische Umsetzung ihres Warnsystems noch Anlass zu berechtigter Kritik gibt. So seien zum Beispiel die Kopfhörer unter dem Fahrradhelm öfter verrutscht, was den Empfang des Signals deutlich erschwert habe. Auch das Benutzen zweier Smartphones sei noch weit von dem entfernt, was Menschen heutzutage bei der Integration intelligenter Systeme in ein E-Bike gewohnt seien. Von einem nahtlosen Verschmelzen mit dem E-Antrieb erwarten sie mehr Akzeptanz und größeres Vertrauen seitens der E-Bike-Fahrenden.

E-Bike mit Smartphones und Sensoren für den Feldtest eines Warnsystems für E-Bikes, das Unfälle im Straßenverkehr vermeiden soll
Ein Blick auf den Lenker des für den Feldtest verwandten E-Bikes zeigt, warum die Forschenden selbst eine bessere Integration ihres Warnsystems in das E-Bike-System als zwingend notwendig erachten.

Grundsätzlich steckt in Sicherheitslösungen dieser Art jedoch anscheinend einiges Potenzial. Aus unserer Sicht könnten derartige Funktionen im E-Bike Menschen zum vermehrten Fahren mit dem E-Bike bewegen, in dem sie sich überhaupt eines anschaffen oder das vorhandene öfter benutzen. Dafür nötige Sensorik bringen einige E-Bikes bereits heute mit. E-Bike-Displays könnten Hinweise in ähnlicher Weise geben, wie dies im Feldtest per Smarthone geschah. Am Implementieren akustischer Signale sollte es auch nicht scheitern.

Einen beachtlichen Mehraufwand bedeutet sicher das Hinterlegen der Information zu den Stellen mit erhöhtem Unfallrisiko. Diese müssten erst in die Navigationssoftware einprogrammiert werden. Für urbane Regionen in weiten Teilen Europas liegen solche Daten zumindest schon vor.

Die Forschenden bringen zusätzlich die Gesetzgeber ins Spiel. Mit einer aktiven Förderung sehen sie die Möglichkeit situative Warnsystem oder ähnliche Anwendungen für stärker gefährdete Gruppen von E-Bike-Fahrenden wie ältere Menschen schneller voranzutreiben. Oder für bestimmte Typen von E-Bikes wie S-Pedelecs. Schließlich ist da Senken der Unfallzahlen ein schlagkräftiges Argument.

6. Hintergründe zur Studie

Unter dem Titel “How do cyclists experience a context-aware prototype warning system? Assessing perceived safety, perception and riding behaviour changes through a field study” veröffentlichen die Forschenden Georgios Kapousizis, Annemarie Jutte, M. Baran Ulak und Karst Geurs die Ergebnisse ihres Feldtests. Der Bericht wird In der Ausgabe für den März 2025 des Journal of Cycling and Micromobility Research erscheinen.

Bilder:
Georgios Kapousizis, Annemarie Jutte, M. Baran Ulak, Karst Geurs: How do cyclists experience a context-aware prototype warning system? Assessing perceived safety, perception and riding behaviour changes through a field study. – Journal of Cycling and Micromobility Research,
Volume 3, 2025. – ISSN 2950-1059. – https://doi.org/10.1016/j.jcmr.2024.100051

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