„We are now able to have pure fun we’ve experienced in the beginning of mountainbiking. But now up the hill. It surely becomes the next big thing.“ Was hier als kommende große Sache angepriesen wird, ist das Fahren mit einem E-Bike. Gesagt hat dies kein Geringerer als Gary Fisher, als er 2017 über den damaligen Antrieb von Bosch sprach. Nun kehrt die Ikone des Mountainbikesports vom Kommentatorenplatz zurück in die Mitte des Geschehens. Im Gepäck hat er eine neue E-Bike-Marke und jede Menge ungewöhnliche Ideen. Ein typischer Gary Fisher halt.
Ende März vermeldeten erste US-amerikanische Fachmedien, Gary Fisher sei auf der Fahrradmesse Taipei Cycle in Taiwan gesichtet worden. Und dies keineswegs als Privatier, sondern in beruflicher Mission. Inzwischen ist so viel über seine Pläne bekannt, dass sich ein ziemlich konkretes Bild davon zeichnen lässt, was der 72-Jährige vorhat.
Geballtes Wissen aus zwei Welten
Zusammen mit zwei Partnern hat Fisher augenscheinlich im Februar 2023 die gänzlich neue E-Bike-Marke Morelle gegründet. Laut seines Profils auf Linkedin begleitet er dort die Position des Chefentwicklers. An seiner Seite sind Michael Sinkula und Kevin Hays. Beide gehören zu dem US-amerikanischen Batterie-Spezialisten Ionblox. Sinkula ist einer der Gründer von Ionblonx. Hays zeichnet als Chefentwickler für die Batterie eines elektrischen Flugzeugs verantwortlich, das senkrecht startet.
Ein wetterfühliges E-Bike
Diese und weitere Informationen gehen aus einem PDF-Dokument hervor, das ausgewählte Journalisten erhalten haben. Darin werden auch erste Eckdaten des E-Bikes genannt, das als Premiere bei Morelle erscheinen soll. Voraussichtlich wird es sich dabei um ein urbanes E-Bike für den Alltag in der Stadt handeln. Als Basis dient ein aus Aluminium gefertigter Rahmen. In dem ist ein Mittelmotor von Bafang integriert. Mehrere Medien berichten übereinstimmend von einer recht hochwertigen Ausstattung mit einer elektronischen Schaltung von Sram sowie einem Laufradsatz aus Carbon.
Morelle möchte ein modernes Fahrrad bauen, das sich per App mit diversen anderen Geräten verbinden kann. Gary Fisher hat die Integration diverser Sensoren angekündigt. So sollen Reifendruck, Leistung, Geschwindigkeit und Belastung elektronisch gemessen werden. Zur Ausstattung zählt voraussichtlich ebenfalls ein GPS-Modul. Selbst die Wetterbedingungen soll das E-Bike erfassen können und mithilfe eines speziellen Algorithmus daraus eine entsprechend aktuelle Reichweite ermitteln. Das Magazin „Bicycle Retailer and Industry News“ zitiert Fisher mit den Worten: „It will be a mix of the old and the new.“
Von der Luft auf die Straße
Irgendwo zwischen neu und revolutionär könnte sich vor allem die Akku-Technologie bewegen, die Morelle verwenden möchte. An der Stelle kommt die bereits erwähnte Verbindung zu Ionblox zum Tragen. Deren Knowhow ist in Person von Michael Sinkula und Kevin Hays präsent. Vereinbart ist wohl außerdem, dass auch andere Ressourcen gemeinsam genutzt werden dürfen. Die Energie für den Mittelmotor am Morelle soll ein 300 Wattstunden starker Akku spenden. Das klingt erst einmal ziemlich bescheiden. Allerdings soll der Akku das Doppelte an Reichweite ermöglichen, das derzeit am Markt befindliche Produkte bieten.
Wie genau das funktionieren kann, ist für uns momentan nicht vollständig nachvollziehbar. Auf der Internetseite von Ionblox liest man zumindest etwas von einer Anode, die auf Silizium statt auf Lithium basiert. Darüber hinaus hat die Firma wohl ein eigenes Zellendesign entwickelt. Beides zusammen führt zu einer ungewöhnlich hohen Energiedichte. Laut des Magazins „Cycling Electric“ liegt die bei 350 Wattstunden pro Kilogramm im Vergleich zu den bisher eher üblichen 150 bis 200 Wattstunden pro Kilogramm. Mithilfe dieser Technik bringt Ionblox Elektroflugzeuge in die Luft. Dabei sind hohe Leistung bei möglichst geringem Gewicht gefragt. Das lässt solche Aussagen durchaus glaubwürdig erscheinen.
Als Ziel hat Morelle formuliert, den Akku innerhalb von 30 Minuten vollständig aufladen zu wollen. Schon nach zehn Minuten sollen 80 Prozent erreicht sein. Bei der Anzahl der Ladezyklen sind 1.000 und mehr anvisiert. Zusammen mit dem Akku soll das komplette E-Bike am Ende zwischen zehn Kilogramm und 11,5 Kilogramm wiegen.
Derzeit tut sich auf der Webseite von Morelle noch nicht viel. Wer möchte, kann den Newsletter des Herstellers abonnieren.
Mieten statt kaufen
Neben der technischen Lösung möchte Gary Fisher mit Morelle auch beim eigentlichen Geldverdienen eher unkonventionelle Wege gehen. Mieten statt kaufen lautet hier das Motto. Um einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht den Zugang zu einem solch fortschrittlichen und sicher nicht ganz günstigen E-Bike zu ermöglichen, ist ein Modell angedacht, bei dem Interessenten das E-Bike für eine Gebühr von 100 US-Dollar monatlich mieten können. Zum Service sollen neben der Lieferung eines fahrbereiten Fahrrades auch Reparaturen gehören. Beim Aufladen schwebt den Gründern als Alternative zum eigenen Zuhause auch ein Netzwerk öffentlich zugänglicher Ladesäulen vor – eventuell in Kombination mit Akkuleihstationen, bei denen sich auch E-Roller bedienen können.
Langeweile ausgeschlossen
Bis diese Pläne in die Tat umgesetzt werden, wird es noch einige Zeit dauern. Vor 2024 möchte Morelle kein fertiges E-Bike präsentieren. Ab 2025 könnte eine Rahmenfertigung mittels 3D-Druckverfahren in größerem Umfang in der Nähe des Firmensitzes im kalifornischen Fremont anlaufen.
In der Zwischenzeit tüftelt Gary Fisher bereits an seinem nächsten Projekt. Nach eigenen Aussagen hat er Pläne für ein E-Lastenfahrrad im Kopf. Das soll gezielt auf den US-amerikanischen Markt ausgerichtet sein. Vielleicht mit einem sehr leistungsstarken Motor? Mit Sicherheit wohl mit einer Lichtanlage, die in Deutschland keine Zulassung für den Straßenverkehr erhalten würde, weil sie zu hell sei. Außerdem ist von einklappbaren Windschutzscheiben und einem Ständer die Rede, den auch Menschen bedienen können, denen sonst die Kraft dafür fehlt. Klingt danach, als sei Gary Fisher mal wieder voll in seinem Element.
Hintergrund: Waghalsiger Mountainbike-Pionier
An der Seite von Szenegrößen wie Joe Breeze und Charles Kelly zählte Gary Fisher Anfang der 1970er Jahre zu einer Gruppe von Leuten, die schrottreife Fahrräder zu Mountainbikes umfunktionierten und damit über die Hügel von Marin County preschten. Von Kalifornien aus entwickelte sich diese Mutprobe zum weltumspannenden Phänomen des Mountainbikesports. Wie etliche seiner damaligen Weggefährten gründete auch Fisher später eine eigene Fahrradmarke. Seit 1993 gehörte sie zum Fahrradhersteller Trek, Gary Fisher hatte sie selbst verkauft und war bei Trek als Markenbotschafter angestellt. Im März 2022 hatten sich dann die Wege von Fisher und Trek getrennt.
Interview mit Bosch eBike Systems 2017
Bilder: Bosch eBike Systems; Twitter @Gary_Fisher