Ein E-Bike mit einem anpassbaren Radstand â das ist nicht nun wirklich alles andere als alltĂ€glich. Vor gut anderthalb Jahren hat das Berliner Unternehmen Cycle auf der Eurobike 2023 in Frankfurt am Main mit dem 20Fifty genau solch ein Fahrrad vorgestellt. Damals gab es lediglich ein Entwicklungsmodell zu sehen. Inzwischen hat die Serienproduktion fĂŒr dieses ungewöhnliche Lastenfahrrad mit elektrischer MotorunterstĂŒtzung begonnen.
1. Ein Rahmen, aber zwei verschiedene Bikes
Ende 2024 war es so weit. Nach jahrelanger Entwicklungsarbeit, intensiver Investorensuche und teils unerwartet groĂen RĂŒckschlĂ€gen wĂ€hrend der Testphase hat es das Cycle 20Fifty letztendlich doch zum Serienmodell gebracht. Die beiden österreichischen GrĂŒnder Luis Orsini-Rosenberg und Nikodemus Seilern haben langen Atem bewiesen und anscheinend erfolgreich die Besonderheiten ihrer Idee herausstellen können. Dazu zĂ€hlt zweifelsfrei das spezielle Rahmenkonzept mit einem doppelten Ausfallende. Cycle selbst spricht dabei von einem modularen Dual-Dropout-System. Dahinter verbirgt sich eine Kettenstrebe, die ĂŒber zwei Ausfallenden verfĂŒgt. In einem Abstand von 80 Millimetern platziert, sorgen diese dafĂŒr, dass sich das Hinterrad an zwei Stellen einsetzen lĂ€sst.
Durch die Auswirkungen auf die Geometrie und das Fahrerlebnis des Cycle 20Fifty ergeben sich im Prinzip zwei verschiedene FahrrĂ€der. Dies sieht der Hersteller genauso. Folglich bringt er zwei Versionen des E-Bikes auf den Markt. Am Cycle 20Fifty LT betrĂ€gt der Radstand 1.300 Millimeter. Mit 1.220 Millimeter fĂ€llt das MaĂ beim Cycle 20Fifty ST dagegen deutlich kĂŒrzer aus. Wer den Antrieb mit zwei verschiedenen langen Ketten nutzt, kann theoretisch beliebig zwischen LT und ST â kurz fĂŒr Longtail und Shorttail â hin- und herwechseln. Die höhere FahrstabilitĂ€t nutzt Cycle an der LT-AusfĂŒhrung und verbaut dort serienmĂ€Ăig absichtlich einen sehr lang dimensionierten hinteren GepĂ€cktrĂ€ger. Aufgrund des kĂŒrzeren Radstands lĂ€sst sich das Cycle 20Fifty ST im Unterschied dazu im StraĂenverkehr einfacher manövrieren. Seinen sportiveren Charakter unterstreicht der generelle Verzicht auf einen gröĂeren GepĂ€cktrĂ€ger. Taschen, Körbe und Ăhnliches finden alternativ auf dem FrontgepĂ€cktrĂ€ger Platz.
2. Cycle 20Fifty LT: Spezialist fĂŒr gröĂere Lasten
Ganz allgemein gesprochen handelt es sich bei beiden Modellen um ein Longtail-Lastenrad. In dem einen Fall wurde es vollumfĂ€nglich so gestaltet. In dem anderen Fall schlummert das Potenzial dazu im Bike. Durch den Wechsel hin zum lĂ€ngeren Radstand sowie das nachtrĂ€gliche Anbauen des GepĂ€cktrĂ€gers lĂ€sst es sich sozusagen vom Shorttail in ein Longtail verwandeln. Der Hersteller selbst legte sein Augenmerk von Beginn an auf das eigentliche Longtail. Er wollte Lieferindustrie und urbaner Logistik ein GefĂ€hrt an die Hand geben wollte, mit dem sich die berĂŒhmte letzte Meile in Metropolen oder der ungehinderte Zugang zu autofreien InnenstĂ€dten bewerkstelligen lĂ€sst.
Mit Blick auf die vermutete gröĂere Belastung des Longtails durch höhere Zuladungen gibt es deshalb ganz gezielte Unterschiede zum Shorttail. Dazu gehört beispielsweise der Kettenantrieb von Enduo. Dessen spezielle Konstruktion von Kettenblatt und Kette verringert den VerschleiĂ im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen um bis zu 30 Prozent. Anwender senken damit sowohl Materialkosten als auch WartungsumfĂ€nge erheblich. Weitere Ănderungen sind ein selbst entwickelter stabiler ZweibeinstĂ€nder, andere Gabeln sowie verstĂ€rkte LaufrĂ€der. Bei der Bereifung greift Cycle an beiden Versionen des 20Fifty auf den Pick-Up von Schwalbe zurĂŒck. Jedoch ausschlieĂlich am Longtail erhalten diese durch spezielle Einlagen einen nochmals höheren Pannenschutz.
3. Akku mit bemerkenswerter KapazitÀt
WÀhrend der Entwicklung legte Cycle nach eigenem Bekunden vor allem Wert auf folgende vier Eigenschaften: Reichweite, Leistung, Haltbarkeit und Nachhaltigkeit. Um die Reichweite braucht ihr euch beim Cycle 20Fifty tatsÀchlich kaum Gedanken machen. Erstens bringt es der zusammen mit dem chinesischen Hersteller Topband entwickelte Akku auf eine KapazitÀt von fast 1.000 Wattstunden. Auch wenn wir zum Beispiel das Gewicht dieses E-Bikes nicht kennen, erscheint die ausgewiesene Reichweite von bis zu 150 Kilometer als absolut realistisch. Zweitens gibt es zu jedem 20Fifty ein SchnellladegerÀt dazu.
Zur Leistung rechnen wir zuerst einmal den Motor hinzu. Bei dem handelt es sich um einen im Hinterrad integrierten Nabenmotor, der euch bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Kilometer pro Stunde unterstĂŒtzt. Im Dauerbetrieb leistet er die ĂŒblichen 250 Watt. Aus denen können in der Spitze fĂŒr ein paar Momente maximal 500 Watt werden. Das Drehmoment gibt der chinesische Hersteller Shengyi mit 60 Newtonmeter an. Da dieses direkt am Hinterrad anliegt, dĂŒrfte der Schub des Motors ziemlich krĂ€ftig ausfallen. Dank des eingebauten Drehmomentsensors sollte sich das beim Fahren dennoch recht natĂŒrlich anfĂŒhlen.
4. Transportleistung ausbaufÀhig
Wie leistungsfĂ€hig ein Lastenfahrrad ist, zeigt sich darĂŒber hinaus an dem Transportgut, das es bewegen kann. Am Cycle 20Fifty ist dafĂŒr in erster Linie der hintere GepĂ€cktrĂ€ger verantwortlich. Der ist nicht nur auffĂ€llig lang, sondern vertrĂ€gt Lasten mit einem Gewicht von bis zu 60 Kilogramm. Das klingt ziemlich gut. HĂ€lt man sich jedoch vor Augen, dass ein Familien-Fahrrad wie das Tern Quick Haul Long es in dieser Rubrik auf einen Wert von 90 Kilogramm bringt, relativiert sich die EinschĂ€tzung gleich ein wenig.
Die erlaubte Zuladung von 20 Kilogramm am vorderen GepĂ€cktrĂ€ger sind dagegen an der oberen Grenze dessen, was man erwarten kann. Und insgesamt können sich die 80 Kilogramm in Bezug auf die Nutzlast fĂŒr ein einspuriges E-Bike sehr wohl sehen lassen. Zusammen mit dem Gewicht der Fahrenden sowie des Lastenfahrrades selbst ergibt sich ein maximal zulĂ€ssiges Gesamtgewicht von 200 Kilogramm. An dem Punkt ĂŒbertrifft das Cycle 20Fifty das Tern Quick Haul Long dann ĂŒbrigens um zehn Kilogramm. đ
5. ZuverlÀssig und gut zur Umwelt
Zur Haltbarkeit trÀgt bei, dass Cycle bei der Ausstattung des E-Cargobikes gezielt nach Komponenten gesucht hat, die sich bereits an anderen E-Bikes bewÀhrt haben und als qualitativ hochwertig angesehen werden können, obwohl ihr Name uns nicht immer ersten Moment gleich etwas sagt. Dort, wo sich keine passende Lösung bot, hat man selbst Teile entwickelt. Eine gewisse Einfachheit des Konzepts erhöht gleichzeitig die ZuverlÀssigkeit des 20Fifty. So findet ihr statt einer Gangschaltung einen Singlespeed-Antrieb. Der bedeutet zwar ein paar Abstriche beim Fahrkomfort, punktet jedoch mit einem wesentlich geringeren Wartungsaufwand.
Bei der Herstellung wird deutlich, dass Cycle intensiv an einer möglichst ausgewogenen Ăkologiebilanz arbeitet. So wird zum Beispiel der Rahmen aus recyceltem Aluminium gefertigt. Zudem sind Produktion und Montage ĂŒberwiegend in Europa angesiedelt, wĂ€hrend die Entwicklung komplett in Deutschland stattfindet. Da ĂŒberrascht es auch nicht, wenn der Name des E-Lastenfahrrades an die Vereinbarungen des Weltklimakonferenz 2015 in Paris anknĂŒpft. In dem Abkommen ist festgehalten, dass, um die KlimaerwĂ€rmung nicht ĂŒber zwei Grad ansteigen zu lassen, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null sinken mĂŒssen. 2050 als entscheidende Jahreszahl und 20Fifty als Name â ihr erkennt sicher die Parallele.
6. Cycle mit B2B-Modell unterwegs
SpĂ€testens wenn ihr hört, dass im 20Fifty auĂerdem ein IoT-GerĂ€t verbaut ist, mit dem sich das E-Bike via GPS orten und im Falle eines Diebstahls der Motor deaktivieren lĂ€sst, werden einige von euch womöglich hellhörig und fragen sich, wo man entweder das Longtail oder das Shorttail testen und auch kaufen kann. Nun, dies ist die Stelle, an der ihr enttĂ€uscht ausatmet. Denn Cycle bietet sowohl das 20Fifty LT als auch das 20Fifty ST ausschlieĂlich als Mietfahrrad fĂŒr andere Firmen an. Nach Aussage von Cycle-CEO Luis Orsini-Rosenberg soll dies auch in absehbarer Zeit so bleiben.
TatsĂ€chlich war dies schon das GeschĂ€ftsmodell des Herstellers, als er von 2018 bis 2022 noch unter dem Namen GetHenry firmierte. Cycle wendet sich damit gezielt an Kurierdienstleister und Lebensmittellieferanten wie Flink, Just Eat Takeaway.com und Foodora. Denen stellt das Unternehmen nicht nur die Bikes zur VerfĂŒgung, sondern ĂŒbernimmt je nach Absprache auch Wartung, Reparatur und bietet ihnen Softwarelösungen fĂŒr das Flottenmanagement an. Auf diese Weise agiert Cycle laut eigener Angaben aktuell in mehr als 150 StĂ€dten in Deutschland, Ăsterreich, Belgien, Italien, Polen und den Niederlanden.
Cycle 20Fifty im Ăberblick
- Rahmen: Aluminium
- RahmengröĂe: onesize
- Motor: Shengyi
- Akku: Topband, 960 Wh
- Bedieneinheit: Velofox
- Antrieb: Singlespeed
- Bremsen: Tektro Auriga HD E540
- Maximale Zuladung vorderer GepÀcktrÀger: 20 kg
- Maximale Zuladung hinterer GepÀcktrÀger: 60 kg
- Maximal zulÀssiges Gesamtgewicht: 200 kg
Bilder: Cycle Mobility Holding GmbH